Vollrauschtatbestand und unsicherer Rauschgrad

Publikation: Beiträge in ZeitschriftenZeitschriftenaufsätzeForschung

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Vollrauschtatbestand und unsicherer Rauschgrad. / Berster, Lars.

in: Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft (ZStW), Jahrgang 124, Nr. 4, 2012, S. 991-1022.

Publikation: Beiträge in ZeitschriftenZeitschriftenaufsätzeForschung

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title = "Vollrauschtatbestand und unsicherer Rauschgrad",
abstract = "Die Begehung von Straftaten im Zustand des Rausches ist ein Alltagsph{\"a}nomen. Der Anteil alkoholisierter Tatverd{\"a}chtiger an der Gesamtkriminalit{\"a}t pendelt seit seiner ersten Erfassung in der Polizeilichen Kriminalstatistik (f{\"u}r die alten Bundesl{\"a}nder) im Jahre 1986 beharrlich um 10%[1]. Im Bereich der Gewaltdelikte liegt er mit um die 30% Prozent der Tatverd{\"a}chtigen noch deutlich h{\"o}her[2]. Angesichts dessen muss es als misslich erscheinen, dass diese so wichtige Thematik rechtlich und tats{\"a}chlich mit gravierenden Unsicherheiten belastet ist. In tats{\"a}chlicher Hinsicht st{\"o}{\ss}t die nachtr{\"a}gliche Feststellung einer „Intoxikationspsychose“ i. S. d. §§ 20, 21 StGB aufgrund der sprichw{\"o}rtlichen Fl{\"u}chtigkeit des Rausches und individueller Faktoren wie Rauschmitteltoleranz und Abbaugeschwindigkeit rasch an forensische Grenzen[3]. Die Folge ist, dass sich die rauschbedingte Verminderung oder der Fortfall der Schuldf{\"a}higkeit bei Begehung der Tat vielfach nicht zweifelsfrei aufkl{\"a}ren l{\"a}sst und somit mehrere m{\"o}gliche Sachverhaltsvarianten nebeneinander treten. Diese Unsicherheit im Tats{\"a}chlichen wird auf rechtlicher Seite durch den Umstand potenziert, dass das zur Beurteilung rauschbedingter Delinquenz zur Verf{\"u}gung stehende gesetzliche Instrumentarium in mehrfacher Hinsicht Defizite aufweist: Das Institut der actio libera in causa ist nach wie vor ungeregelt und entsprechend umstritten. Ebenso verh{\"a}lt es sich mit den verschiedenen Typen der „Wahlfeststellung“, die zus{\"a}tzlich auf den Plan treten, wenn sich der T{\"a}ter nach allen in Betracht kommenden Rauschvarianten strafbar gemacht h{\"a}tte. Gekr{\"o}nt jedoch wird die Rechtsunsicherheit in diesem Bereich durch den zwischen angeblichem Strafbed{\"u}rfnis und Schuldprinzip zerriebenen Vollrauschtatbestand des § 323 a StGB. Allein auf dessen Analyse wird im Folgenden der Schwerpunkt gelegt, w{\"a}hrend die Figuren der Wahlfeststellung sowie der actio libera in causa (in Form des herrschenden „Vorverlegungsmodells“[4]) aus Gr{\"u}nden der {\"U}berschaubarkeit dem gesicherten Bestand des geltenden Strafrechts zugerechnet werden sollen. Die Darstellung erfolgt in drei Schritten. Vorweg werden die drei wesentlichen Erkl{\"a}rungsans{\"a}tze zu § 323 a StGB einer kritischen Revision unterzogen. Anschlie{\ss}end wird auf Grundlage der gewonnenen Erkenntnisse ein Vorschlag zur Neuregelung dieser Vorschrift unterbreitet. Drittens schlie{\ss}lich sollen L{\"o}sungsm{\"o}glichkeiten f{\"u}r die wichtigsten Konstellationen des unsicheren Rauschgrades aufgezeigt werden.",
keywords = "Rechtswissenschaft",
author = "Lars Berster",
year = "2012",
doi = "10.1515/zstw-2012-0040",
language = "Deutsch",
volume = "124",
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journal = "Zeitschrift f{\"u}r die gesamte Strafrechtswissenschaft (ZStW)",
issn = "0084-5310",
publisher = "Walter de Gruyter GmbH",
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RIS

TY - JOUR

T1 - Vollrauschtatbestand und unsicherer Rauschgrad

AU - Berster, Lars

PY - 2012

Y1 - 2012

N2 - Die Begehung von Straftaten im Zustand des Rausches ist ein Alltagsphänomen. Der Anteil alkoholisierter Tatverdächtiger an der Gesamtkriminalität pendelt seit seiner ersten Erfassung in der Polizeilichen Kriminalstatistik (für die alten Bundesländer) im Jahre 1986 beharrlich um 10%[1]. Im Bereich der Gewaltdelikte liegt er mit um die 30% Prozent der Tatverdächtigen noch deutlich höher[2]. Angesichts dessen muss es als misslich erscheinen, dass diese so wichtige Thematik rechtlich und tatsächlich mit gravierenden Unsicherheiten belastet ist. In tatsächlicher Hinsicht stößt die nachträgliche Feststellung einer „Intoxikationspsychose“ i. S. d. §§ 20, 21 StGB aufgrund der sprichwörtlichen Flüchtigkeit des Rausches und individueller Faktoren wie Rauschmitteltoleranz und Abbaugeschwindigkeit rasch an forensische Grenzen[3]. Die Folge ist, dass sich die rauschbedingte Verminderung oder der Fortfall der Schuldfähigkeit bei Begehung der Tat vielfach nicht zweifelsfrei aufklären lässt und somit mehrere mögliche Sachverhaltsvarianten nebeneinander treten. Diese Unsicherheit im Tatsächlichen wird auf rechtlicher Seite durch den Umstand potenziert, dass das zur Beurteilung rauschbedingter Delinquenz zur Verfügung stehende gesetzliche Instrumentarium in mehrfacher Hinsicht Defizite aufweist: Das Institut der actio libera in causa ist nach wie vor ungeregelt und entsprechend umstritten. Ebenso verhält es sich mit den verschiedenen Typen der „Wahlfeststellung“, die zusätzlich auf den Plan treten, wenn sich der Täter nach allen in Betracht kommenden Rauschvarianten strafbar gemacht hätte. Gekrönt jedoch wird die Rechtsunsicherheit in diesem Bereich durch den zwischen angeblichem Strafbedürfnis und Schuldprinzip zerriebenen Vollrauschtatbestand des § 323 a StGB. Allein auf dessen Analyse wird im Folgenden der Schwerpunkt gelegt, während die Figuren der Wahlfeststellung sowie der actio libera in causa (in Form des herrschenden „Vorverlegungsmodells“[4]) aus Gründen der Überschaubarkeit dem gesicherten Bestand des geltenden Strafrechts zugerechnet werden sollen. Die Darstellung erfolgt in drei Schritten. Vorweg werden die drei wesentlichen Erklärungsansätze zu § 323 a StGB einer kritischen Revision unterzogen. Anschließend wird auf Grundlage der gewonnenen Erkenntnisse ein Vorschlag zur Neuregelung dieser Vorschrift unterbreitet. Drittens schließlich sollen Lösungsmöglichkeiten für die wichtigsten Konstellationen des unsicheren Rauschgrades aufgezeigt werden.

AB - Die Begehung von Straftaten im Zustand des Rausches ist ein Alltagsphänomen. Der Anteil alkoholisierter Tatverdächtiger an der Gesamtkriminalität pendelt seit seiner ersten Erfassung in der Polizeilichen Kriminalstatistik (für die alten Bundesländer) im Jahre 1986 beharrlich um 10%[1]. Im Bereich der Gewaltdelikte liegt er mit um die 30% Prozent der Tatverdächtigen noch deutlich höher[2]. Angesichts dessen muss es als misslich erscheinen, dass diese so wichtige Thematik rechtlich und tatsächlich mit gravierenden Unsicherheiten belastet ist. In tatsächlicher Hinsicht stößt die nachträgliche Feststellung einer „Intoxikationspsychose“ i. S. d. §§ 20, 21 StGB aufgrund der sprichwörtlichen Flüchtigkeit des Rausches und individueller Faktoren wie Rauschmitteltoleranz und Abbaugeschwindigkeit rasch an forensische Grenzen[3]. Die Folge ist, dass sich die rauschbedingte Verminderung oder der Fortfall der Schuldfähigkeit bei Begehung der Tat vielfach nicht zweifelsfrei aufklären lässt und somit mehrere mögliche Sachverhaltsvarianten nebeneinander treten. Diese Unsicherheit im Tatsächlichen wird auf rechtlicher Seite durch den Umstand potenziert, dass das zur Beurteilung rauschbedingter Delinquenz zur Verfügung stehende gesetzliche Instrumentarium in mehrfacher Hinsicht Defizite aufweist: Das Institut der actio libera in causa ist nach wie vor ungeregelt und entsprechend umstritten. Ebenso verhält es sich mit den verschiedenen Typen der „Wahlfeststellung“, die zusätzlich auf den Plan treten, wenn sich der Täter nach allen in Betracht kommenden Rauschvarianten strafbar gemacht hätte. Gekrönt jedoch wird die Rechtsunsicherheit in diesem Bereich durch den zwischen angeblichem Strafbedürfnis und Schuldprinzip zerriebenen Vollrauschtatbestand des § 323 a StGB. Allein auf dessen Analyse wird im Folgenden der Schwerpunkt gelegt, während die Figuren der Wahlfeststellung sowie der actio libera in causa (in Form des herrschenden „Vorverlegungsmodells“[4]) aus Gründen der Überschaubarkeit dem gesicherten Bestand des geltenden Strafrechts zugerechnet werden sollen. Die Darstellung erfolgt in drei Schritten. Vorweg werden die drei wesentlichen Erklärungsansätze zu § 323 a StGB einer kritischen Revision unterzogen. Anschließend wird auf Grundlage der gewonnenen Erkenntnisse ein Vorschlag zur Neuregelung dieser Vorschrift unterbreitet. Drittens schließlich sollen Lösungsmöglichkeiten für die wichtigsten Konstellationen des unsicheren Rauschgrades aufgezeigt werden.

KW - Rechtswissenschaft

U2 - 10.1515/zstw-2012-0040

DO - 10.1515/zstw-2012-0040

M3 - Zeitschriftenaufsätze

VL - 124

SP - 991

EP - 1022

JO - Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft (ZStW)

JF - Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft (ZStW)

SN - 0084-5310

IS - 4

ER -

DOI