Tagung - Die Lehre in der Kritischen Theorie
Aktivität: Wissenschaftliche und künstlerische Veranstaltungen › Konferenzen › Forschung
Lukas Betzler - Organisator*in
Christian Voller - Organisator*in
- Professur für Neuere Deutsche Literaturwissenschaft und Literarische Kulturen
- Institut für Kultur und Ästhetik Digitaler Medien
- Professur für Medienkultur und Medienphilosophie
Die Einsicht, nach der die Perspektive einer wahrhaft verändernden Praxis bis auf Weiteres verstellt sei, ist nicht nur schwer erträglich, sondern hat den Handlungsspielraum Kritischer Theorie auch grundsätzlich eingeschränkt. Was ihr in Ermangelung einer sozial-revolutionären Perspektive bleibt, ist die unnachgiebige Kritik der Verhältnisse und die Weitergabe der Denkform, die derartige Kritik ermöglicht, als Beitrag einer Erziehung zur Mündigkeit. In diesem Sinn gehört die (universitäre) Lehre zu den wenigen Formen der Praxis, zu denen sich Kritische Theorie stets bekannt hat und bekennen konnte. Dass sie es dort, wo sie es mit ihrem Gegenstand – der Überwindung der Klassengesellschaft und also auch ihrer Universitäten – ernst meint, mit Widerständen zu tun bekommt, ist wenig überraschend. Dieser Widerstand allerdings ist kein statisches Phänomen, sondern seinerseits Veränderungen unterworfen, die symptomatischen Charakter haben und über die es sich zu diskutieren lohnt.
Blickt man auf die erste Generation der Kritischen Theorie, lassen sich in ihrem Verhältnis zur (universitären) Lehre grob vier Phasen unterscheiden: In einer ersten Phase kommt der Lehre bei der Konzeption des Instituts für Sozialforschung eine große Bedeutung insofern zu, als das Institut den Lehrbetrieb für alle Interessierten öffnete, wobei es noch in der Tradition der Arbeiterbildungsvereine und ähnlicher Institutionen (etwa dem Freien jüdischen Lehrhaus in Frankfurt) stand. In der Exilzeit wurde die universitäre Lehre dann zu einem Problem. Zunächst fehlte der Anschluss an den regulären Universitätsbetrieb, später dann waren auch ‚kulturelle‘ Unterschiede zwischen den US-Universitäten und den europäischen zu bemerken. Die Frage, welcher Stellenwert der Lehre zuzusprechen wäre, wird in dieser Zeit jedoch auch grundsätzlicher diskutiert. 1937 bestimmt Max Horkheimer die „möglichst strenge Weitergabe der Theorie“ als eine der wichtigsten Aufgaben des Instituts und stellt zugleich fest, dass die Lehre insofern zur Erneuerung und Entwicklung der Kritischen Theorie beizutragen hätte, als sie den Kontakt zu jüngeren Generationen und ihren Erfahrungen, Interessen und Kämpfen herstellen und erhalten könne, was seinerseits auf die Entwicklung der Theorie zurückverweise. Mit dem Kriegseintritt der USA im Dezember 1941 richtet sich der Blick der Kritischen Theorie auch wieder zurück auf Deutschland: Die nun angestellten Überlegungen zur Reeducation beziehen auch die universitäre Bildung mit ein und betreffen hier u.a. die Gefahren der Spezialisierung und die Notwendigkeit politischer Bildung an Schule und Universität. Vor diesem Hintergrund ist dann insbesondere die vierte Phase von Interesse, in der sich die Vertreter der Kritischen Theorie sowohl in den Vereinigten Staaten als auch in der Bundesrepublik mit der sogenannten Studentenbewegung konfrontiert sahen. Hier kam es zu teilweise sehr folgenreichen Auseinandersetzungen und Konflikten nicht nur zwischen Lehrern und Schüler*innen, sondern auch unter den Vertretern der Kritischen Theorie (bspw. zwischen Marcuse und Adorno).
Mit dem Eintritt in die ‚Postmoderne‘ verändern sich die Bedingungen, unter denen die Kritische Theorie gelehrt und gelernt wird, dann noch einmal grundsätzlich. Zu fragen wäre etwa, wie es unter der verallgemeinerten Bedingung einer postmodernen Erosion der traditionellen Theorie einerseits und der verwaltungstechnologischen Zersprengung der klassischen ‚Bildungswege‘ in ‚Modul-Cluster‘, ‚Komplementäre‘ etc. um die Lehre im Geiste der Emanzipation bestellt ist. Oder was von einem (angeleiteten) Erkenntnisprozess übrigbleibt, wenn der erst einmal zum ‚Wissenstransfer‘ geworden ist, und wie sich aufklärerische Enttäuschungsarbeit mit Subjekten betreiben lässt, denen die Kritische Theorie vor allem als ‚konservativ‘ und ‚eurozentrisch‘ erscheint, sodass die Beschäftigung mit ihr rundweg abgelehnt wird. Kurzum: Wo die Differenztheorie flächendeckend an die Stelle der Dialektik getreten ist, dort ist es auch um die Lehre der Kritischen Theorie schlecht bestellt. Zugleich ist jedoch ein erneuertes Interesse an der klassischen Kritischen Theorie nicht nur im deutschsprachigen Raum, sondern auch in den Vereinigten Staaten und in Frankreich zu bemerken, das bis zu einem gewissen Grad hoffnungsfroh stimmen kann. Zudem lässt es der Frage nach den Bedingungen, unter denen sich die Kritische Theorie heute vermitteln lässt, neue Aktualität zukommen.
Organisation: Lukas Betzler (Institut für Geschichtswissenschaften und Literarische Kulturen), Christian Voller (Institut für Kultur und Ästhetik Digitaler Medien)
Ausgerichtet von der Professur für Neuere Deutsche Literaturwissenschaft und Literarische Kulturen (Sven Kramer, Institut für Geschichtswissenschaft und Literarische Kulturen) und der Professur für Medienkultur und Medienphilosophie (Erich Hörl, Institut für Kultur und Ästhetik Digitaler Medien).
Blickt man auf die erste Generation der Kritischen Theorie, lassen sich in ihrem Verhältnis zur (universitären) Lehre grob vier Phasen unterscheiden: In einer ersten Phase kommt der Lehre bei der Konzeption des Instituts für Sozialforschung eine große Bedeutung insofern zu, als das Institut den Lehrbetrieb für alle Interessierten öffnete, wobei es noch in der Tradition der Arbeiterbildungsvereine und ähnlicher Institutionen (etwa dem Freien jüdischen Lehrhaus in Frankfurt) stand. In der Exilzeit wurde die universitäre Lehre dann zu einem Problem. Zunächst fehlte der Anschluss an den regulären Universitätsbetrieb, später dann waren auch ‚kulturelle‘ Unterschiede zwischen den US-Universitäten und den europäischen zu bemerken. Die Frage, welcher Stellenwert der Lehre zuzusprechen wäre, wird in dieser Zeit jedoch auch grundsätzlicher diskutiert. 1937 bestimmt Max Horkheimer die „möglichst strenge Weitergabe der Theorie“ als eine der wichtigsten Aufgaben des Instituts und stellt zugleich fest, dass die Lehre insofern zur Erneuerung und Entwicklung der Kritischen Theorie beizutragen hätte, als sie den Kontakt zu jüngeren Generationen und ihren Erfahrungen, Interessen und Kämpfen herstellen und erhalten könne, was seinerseits auf die Entwicklung der Theorie zurückverweise. Mit dem Kriegseintritt der USA im Dezember 1941 richtet sich der Blick der Kritischen Theorie auch wieder zurück auf Deutschland: Die nun angestellten Überlegungen zur Reeducation beziehen auch die universitäre Bildung mit ein und betreffen hier u.a. die Gefahren der Spezialisierung und die Notwendigkeit politischer Bildung an Schule und Universität. Vor diesem Hintergrund ist dann insbesondere die vierte Phase von Interesse, in der sich die Vertreter der Kritischen Theorie sowohl in den Vereinigten Staaten als auch in der Bundesrepublik mit der sogenannten Studentenbewegung konfrontiert sahen. Hier kam es zu teilweise sehr folgenreichen Auseinandersetzungen und Konflikten nicht nur zwischen Lehrern und Schüler*innen, sondern auch unter den Vertretern der Kritischen Theorie (bspw. zwischen Marcuse und Adorno).
Mit dem Eintritt in die ‚Postmoderne‘ verändern sich die Bedingungen, unter denen die Kritische Theorie gelehrt und gelernt wird, dann noch einmal grundsätzlich. Zu fragen wäre etwa, wie es unter der verallgemeinerten Bedingung einer postmodernen Erosion der traditionellen Theorie einerseits und der verwaltungstechnologischen Zersprengung der klassischen ‚Bildungswege‘ in ‚Modul-Cluster‘, ‚Komplementäre‘ etc. um die Lehre im Geiste der Emanzipation bestellt ist. Oder was von einem (angeleiteten) Erkenntnisprozess übrigbleibt, wenn der erst einmal zum ‚Wissenstransfer‘ geworden ist, und wie sich aufklärerische Enttäuschungsarbeit mit Subjekten betreiben lässt, denen die Kritische Theorie vor allem als ‚konservativ‘ und ‚eurozentrisch‘ erscheint, sodass die Beschäftigung mit ihr rundweg abgelehnt wird. Kurzum: Wo die Differenztheorie flächendeckend an die Stelle der Dialektik getreten ist, dort ist es auch um die Lehre der Kritischen Theorie schlecht bestellt. Zugleich ist jedoch ein erneuertes Interesse an der klassischen Kritischen Theorie nicht nur im deutschsprachigen Raum, sondern auch in den Vereinigten Staaten und in Frankreich zu bemerken, das bis zu einem gewissen Grad hoffnungsfroh stimmen kann. Zudem lässt es der Frage nach den Bedingungen, unter denen sich die Kritische Theorie heute vermitteln lässt, neue Aktualität zukommen.
Organisation: Lukas Betzler (Institut für Geschichtswissenschaften und Literarische Kulturen), Christian Voller (Institut für Kultur und Ästhetik Digitaler Medien)
Ausgerichtet von der Professur für Neuere Deutsche Literaturwissenschaft und Literarische Kulturen (Sven Kramer, Institut für Geschichtswissenschaft und Literarische Kulturen) und der Professur für Medienkultur und Medienphilosophie (Erich Hörl, Institut für Kultur und Ästhetik Digitaler Medien).
18.11.2022 → 19.11.2022
Tagung - Die Lehre in der Kritischen Theorie
Veranstaltung
Tagung - Die Lehre in der Kritischen Theorie
18.11.22 → 19.11.22
Lüneburg, Niedersachsen, DeutschlandVeranstaltung: Konferenz
- Kulturwissenschaften allg. - Kritische Theorie, Bildungstheorie