Jahrestagung der Sektion 2 „Allgemeine Erziehungswissenschaft“ - DGfE 2015

Aktivität: Wissenschaftliche und künstlerische VeranstaltungenKonferenzenForschung

Anke Wischmann - Präsentator*in

    Struktur und Agency

    Wir möchten in unserem Vortrag im Ausgang von knappen Fallbeispielen die Grenzen und die Möglichkeiten eines erziehungswissenschaftlichen Fallverstehens im Hinblick auf die Untersuchung von Bildungsungleichheiten ausloten. Im Mittelpunkt sollen dabei erstens die Schwierigkeiten stehen, von konkreten empirischen Subjekten auf anonyme Fallstrukturen schließen zu wollen vor dem Hintergrund einer je spezifischen, wiederum durch bestehende (Macht-)Strukturen beeinflusste (z. B. weiße, weibliche, „bildungsnahe“ usw.), Forschungsperspektive. Zweitens möchten wir uns den Prämissen, der Legitimität, den blinden Flecken und den methodischen Schwierigkeiten einer structure-agency-Forschung widmen: Wie lässt sich z.B. eine Typologie entwickeln, aus der sich mit der nötigen Vorsicht allgemeingültige Aussagen ableiten lassen? Und was bedeutete eine solche für die Gestaltung institutionalisierter Bildung und für Bildungs- und Erziehungstheorien, denen bestimmte Vorstellungen des Verhältnisses von Struktur und Agency (mehr oder weniger explizit) inhärent sind?
    Diese Perspektive soll es ermöglichen, die sich in den letzten Jahrzehnten immer stärker pluralisierten gesellschaftlichen Bedingungen von Bildung und Erziehung angemessen zu erforschen (vgl. Liesner / Lohmann 2010). Denn in den verschiedensten Lebensbereichen und -phasen sind zwar deutlich größere Freiräume des Individuums zu verzeichnen, sein Leben selbstständig in die Hand zu nehmen und aktiv zu gestalten. Gleichzeitig aber wird das Selbsttätigkeitsparadigma gesellschaftlich als Imperativ formuliert, Individualität wird zur Norm (vgl. Bröckling 2000). Auch erwartete "Normalbiografien" (Kohli 1988) bleiben wirkungsmächtig, so dass Abweichungen nur in bestimmten Grenzen als akzeptabel oder auch erwünscht gelten. Hinzu kommt ein überaus hartnäckiger Fortbestand von komplexen Strukturen sozialer Ungleichheit, der die individuellen Handlungsmöglichkeiten maßgeblich beeinflusst. In unserem Vortrag wollen wir uns dieser Herausforderung mit der Frage nach dem möglichen schulpädagogischen Nutzen von Kasuistik stellen:
    Die internationale quantitativ-vergleichende und qualitative Heterogenitäts- und Leistungsforschung der letzten Jahre zeigt, dass Schulerfolg in vielen Ländern entschieden von der sozialen Herkunft der Schülerinnen und Schüler abhängt (vgl. z.B. Baumert et al. 2001,). In Deutschland hat im Schulsystem heute bekanntlich die meisten Schwierigkeiten, wer männlich ist, einen Migrationshintergrund hat und in einer Großstadt lebt (Geißler 2005). Daraus darf analytisch jedoch keinesfalls geschlossen werden, dass jeder, der sich in dieser Lage befindet, schulisch scheitern muss, und schon gar nicht, dass die eigene Lebenssituation als negativ oder defizitär wahrgenommen wird. Wie die gesellschaftlichen Bedingungen die subjektive Handlungsfähigkeit und die tatsächlich getroffenen (Bildungs-) Entscheidungen beeinflusst, zeigt sich nur im Einzelfall. Hier lässt sich das Ineinandergreifen von Struktur und Agency rekonstruieren (vgl. Giddens 1988; Chadderton 2012). Damit bildet die Kasuistik nicht nur ein wertvolles Instrument der Sozialen Arbeit, sondern ebenso der theoretischen und empirischen Erforschung gesellschaftlicher Bedingungen von Bildung und Erziehung (vgl. Müller 2009).
    09.03.2015
    Jahrestagung der Sektion 2 „Allgemeine Erziehungswissenschaft“ - DGfE 2015

    Veranstaltung

    Jahrestagung der Sektion 2 „Allgemeine Erziehungswissenschaft“ - DGfE 2015: Bildung und Teilhabe

    09.03.15 → …

    Giessen, Deutschland

    Veranstaltung: Konferenz

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