Die Vertretung zukünftiger Generationen in der Demokratie: Theorie und Praxis der Proxy-Repräsentation

Projekt: Dissertationsprojekt

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Beschreibung

Zukünftige Generationen werden von den Folgen heutiger Politik betroffen sein, sind aber in der Regel von den institutionalisierten Formen demokratischer Willensbildung ausgeschlossen. Aus Sicht des demokratietheoretisch wirkmächtigen Betroffenheitsprinzips, demzufolge alle, die von politischen Entscheidungen betroffen sind oder sein werden, in diesen repräsentiert werden sollen, erscheint dies als problematisch. Die in der Literatur daher vielfach erhobene Forderung, zukünftige Generationen heute politisch zu repräsentieren, führt die moderne Demokratie geradewegs in eine Aporie. Dies liegt zum einen an der sog. demokratischen Gegenwartspräferenz, die, angetrieben durch den Wahlzyklus, den Fokus der Politik auf kurzfristig vorzeigbaren Nutzen für die Wähler lenkt und die genuinen Interessen noch nicht existierender zukünftiger Generationen weitgehend ignoriert. Zum anderen liegt die Ursache hierfür in den Standardkonzepten politischer Repräsentation, die mit ihren Kategorien wie ‚Wahlen‘, ‚Autorisierung‘ und ‚Verantwortlichhalten‘ kontemporär nicht existierende Konstituenten wie zukünftige Generationen nicht erfassen können. Zukünftige Generationen können heute nicht politisch partizipieren.
Nichtsdestotrotz existieren ab den 1990er Jahren zahlreiche Institutionen, die die Interessen zukünftiger Generationen in den demokratischen politischen Entscheidungsprozess einbringen. Als Beispiele wären hier der Zukünftige-Generationen-Kommissar für Wales, die parlamentarische Kommission für zukünftige Generationen in Israel, der Ombudsmann für zukünftige Generationen in Ungarn und einige Nachhaltigkeitsinstitutionen zu nennen. Ihre Existenz überrascht und ist ein erklärungsbedürftiges Puzzle, da die Akteure des politisch-administrativen Systems (PAS) nach der These der demokratischen Gegenwartspräferenz keinen Anreiz haben, die Institutionalisierung solcher potenziell die Gegenwartspräferenz reduzierenden Institutionen zu unterstützen. Kates (2015) geht sogar davon aus, dass solche Institutionalisierungen nur dann möglich sind, wenn vorher über eine Modifikation der Rahmenbedingungen derselben die Gegenwartspräferenz des demokratischen Anreizsystems deutlich reduziert wurde.
Die Aporie, das Puzzle sowie der Befund, dass die politische Repräsentation zukünftiger Generationen zwar bisher in der Philosophie, kaum aber in der Politikwissenschaft erforscht wurde, motivieren die Fragestellung der Arbeit: Wie können zukünftige Generationen in der heutigen Demokratie politisch repräsentiert und wie kann die Aporie der Demokratie bezüglich zukünftiger Generationen reduziert werden? Zur Beantwortung der Forschungsfrage werden zunächst die Ausgangspunkte der Aporie genauer untersucht. Anschließend wird, aufbauend auf Rehfelds (2006) allgemeiner Repräsentationstheorie, das Konzept der Proxy-Repräsentation entwickelt. Der Begriff lehnt sich an den statistischen Proxy-Begriff an und hebt die Eigenschaft der Konstituenten der Proxy-Repräsentation hervor, selbst nicht mess- bzw. ansprechbar und zugänglich zu sein. Proxys sind als Vertreter zukünftiger Generationen dann alle Institutionen, die Proxy-Repräsentation betreiben, also deren Interessen in den politischen Entscheidungsprozess einbringen. Mithilfe der im Zuge der Konzeptbildung entwickelten Kriterien wird das Feld nach Institutionen durchsucht, die sich als Proxys verstehen lassen. Die 29 so identifizierten Proxys werden in Kurzfallstudien mithilfe von Dokumentenanalysen untersucht und nach der Höhe ihres Wirkungspotenzials in eine deduktiv entwickelte Typologie eingeordnet. Es stellt sich heraus, dass nur sechs der 29 Proxys über ein (eher, sehr) hohes Wirkungspotenzial verfügen. Um das Puzzle ihrer Institutionalisierung näherungsweise auflösen zu können, werden mithilfe einer modifizierten Fuzzy Set Qualitative Comparative Analysis (fs/QCA) die Rahmenbedingungen der Proxys mit hohem Wirkungspotenzial untersucht. Die Figur der demokratischen Selbstbindung sowie verschiedene modifizierte theoretische Ansätze der vergleichenden Policy-Analyse dienen hierfür vor dem Hintergrund der demokratischen Gegenwartspräferenz als theoretische Anker. Der überraschende Befund der modifizierten fs/QCA ist, dass hinsichtlich der Rahmenbedingungen keine systematischen Kausalitätsmuster identifiziert werden können und keine systematischen Unterschiede zur Institutionalisierung von Proxys mit niedrigem Wirkungspotenzial vorliegen. Kates These wird daher in Zweifel gezogen: Die Institutionalisierung von Proxys, die potenziell die demokratische Gegenwartspräferenz zugunsten zukünftiger Generationen und zuungunsten der Handlungsfreiheit heutiger Politiker reduzieren könnten, ist auch unter ungünstigen, gegenwartspräferenzinduzierenden Rahmenbedingungen möglich. Insgesamt liefert die Arbeit zahlreiche theoretische und empirische Erkenntnisse zu der Frage, wie die Aporie bearbeitet und zukünftige Generationen heute politisch repräsentiert werden können.
StatusAbgeschlossen
Zeitraum01.05.1206.12.16

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