Der Digitalität ausgeliefert!? Essenslieferdienste zwischen verkörperten Codes, Un_Sichtbarkeit und städtischer (Re-)Produktion

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Zwischen knallig-künstlicher, fast aufdringlicher Sichtbarkeit und algorithmisch-abstrakter Unsichtbarkeit schwebend hat sich eine weitere Infrastruktur in unseren urbanen Alltag geschlichen: die der Informations- und Daten’lieferdienste‘. Konstruiert aus Codes, eingeschrieben in Apparchitekturen verfügen Tech-Unternehmen nicht nur über die monopolartige Daten- und Deutungshoheit kontinuierlich gesammelter Nutzer*inneninformationen. Sie verstehen es außerdem, unsere Wege durch Online-Kartendienste in der Stadt zu leiten, Urbanität profitorientiert digital zu delegieren, soziale, gastronomische Treffpunkte zu eliminieren, urbane Ungleichheiten städtischer Teilhabe zu (re-)produzieren – unterstützt vom limitierten Greifbar- und Bewusstwerden ihres Einflusses. Angesichts dieser ‚algocracy‘, also durch Algorithmen ausgeführte Kontrollmechanismen, werden Fragen zur Materialisierung von Digitalität im Stadtraum zunehmend drängender. Wie verkörpern sich Codes? Welche Auswirkungen hat die durch die Informationsungleichheit produzierte Wissensasymmetrie über die Un_Sichtbarkeit von Daten auf die Wahrnehmung von und den Sinn für Urbanität? Aufbauend auf einer sechsmonatigen Feldforschung zum algorithmengesteuerten Fahrer*innenalltag des Essenslieferdienstes Lieferando widmet sich dieser Artikel der digitalen, städtischen und krisenhaften Informationsinfrastruktur von Gig Work. Die ethnografische Collage zeigt einerseits die hinter dem Essenslieferprozess verborgene Datenlieferung. Ihre unsichtbare Macht diszipliniert Arbeitsverhältnisse und Nutzer*innenverhalten, homogenisiert den Geschmack von Stadt, atomisiert Fahrer*innen und Besteller*innen zugleich. Andererseits birgt die Un_Sichtbarkeit der Codes widerständiges Potenzial: die (Wieder-)Aneignung, das ‚Hacken‘ digitaler Infrastrukturen und ‚Leaken‘ wichtiger Informationen ist grundlegend für alltägliche Fahrer*innen-Praktiken des bundesweiten Solidarisierens, Organisierens, Verknüpfens und Transferierens von bereits angesammeltem, kollektivem Wissen. Verkörpert wird der Protest gegen die automatisierten, unwürdigen Arbeitsprozesse auf der Straße. Hier ist die Stadt eine entscheidende, alltägliche agency der Fahrer*innen im Kampf um öffentliche Anerkennung und faire Arbeitsbedingungen. Ausgehend von der disziplinierenden, überwachungskapitalistischen Un_Sichtbarkeit codierter Informationsinfrastrukturen fordert der Artikel dazu auf, sich – auch stadtforscherisch! – monopolistischer und einseitiger Stadtproduktion digitaler Dienstleister*innen entgegenzustellen. Ihr Herunterbrechen auf kalkulierte, quantitative Verhaltensprognosen zur räumlichen Optimierung wird den komplexen und komplizierten Praktiken der Stadt nicht gerecht. Die Produktion von Urbanität kann und darf nicht von programmierten Algorithmen reduziert, geplant oder kontrolliert, darf nicht der Digitalität ausgeliefert werden.

Quellenangaben

TitelDer Digitalität ausgeliefert!? Essenslieferdienste zwischen verkörperten Codes, Un_Sichtbarkeit und städtischer (Re-)Produktion
Medienbezeichnung/Outletkuckuck. notizen zur alltagskultur
MedienformatDruck
Land/GebietÖsterreich
Datum der Veröffentlichung21.07.21
BeschreibungZwischen knallig-künstlicher, fast aufdringlicher Sichtbarkeit und algorithmisch-abstrakter Unsichtbarkeit schwebend hat sich eine weitere Infrastruktur in unseren urbanen Alltag geschlichen: die der Informations- und Daten’lieferdienste‘. Konstruiert aus Codes, eingeschrieben in Apparchitekturen verfügen Tech-Unternehmen nicht nur über die monopolartige Daten- und Deutungshoheit kontinuierlich gesammelter Nutzer*inneninformationen. Sie verstehen es außerdem, unsere Wege durch Online-Kartendienste in der Stadt zu leiten, Urbanität profitorientiert digital zu delegieren, soziale, gastronomische Treffpunkte zu eliminieren, urbane Ungleichheiten städtischer Teilhabe zu (re-)produzieren – unterstützt vom limitierten Greifbar- und Bewusstwerden ihres Einflusses. Angesichts dieser ‚algocracy‘, also durch Algorithmen ausgeführte Kontrollmechanismen, werden Fragen zur Materialisierung von Digitalität im Stadtraum zunehmend drängender. Wie verkörpern sich Codes? Welche Auswirkungen hat die durch die Informationsungleichheit produzierte Wissensasymmetrie über die Un_Sichtbarkeit von Daten auf die Wahrnehmung von und den Sinn für Urbanität? Aufbauend auf einer sechsmonatigen Feldforschung zum algorithmengesteuerten Fahrer*innenalltag des Essenslieferdienstes Lieferando widmet sich dieser Artikel der digitalen, städtischen und krisenhaften Informationsinfrastruktur von Gig Work. Die ethnografische Collage zeigt einerseits die hinter dem Essenslieferprozess verborgene Datenlieferung. Ihre unsichtbare Macht diszipliniert Arbeitsverhältnisse und Nutzer*innenverhalten, homogenisiert den Geschmack von Stadt, atomisiert Fahrer*innen und Besteller*innen zugleich. Andererseits birgt die Un_Sichtbarkeit der Codes widerständiges Potenzial: die (Wieder-)Aneignung, das ‚Hacken‘ digitaler Infrastrukturen und ‚Leaken‘ wichtiger Informationen ist grundlegend für alltägliche Fahrer*innen-Praktiken des bundesweiten Solidarisierens, Organisierens, Verknüpfens und Transferierens von bereits angesammeltem, kollektivem Wissen. Verkörpert wird der Protest gegen die automatisierten, unwürdigen Arbeitsprozesse auf der Straße. Hier ist die Stadt eine entscheidende, alltägliche agency der Fahrer*innen im Kampf um öffentliche Anerkennung und faire Arbeitsbedingungen. Ausgehend von der disziplinierenden, überwachungskapitalistischen Un_Sichtbarkeit codierter Informationsinfrastrukturen fordert der Artikel dazu auf, sich – auch stadtforscherisch! – monopolistischer und einseitiger Stadtproduktion digitaler Dienstleister*innen entgegenzustellen. Ihr Herunterbrechen auf kalkulierte, quantitative Verhaltensprognosen zur räumlichen Optimierung wird den komplexen und komplizierten Praktiken der Stadt nicht gerecht. Die Produktion von Urbanität kann und darf nicht von programmierten Algorithmen reduziert, geplant oder kontrolliert, darf nicht der Digitalität ausgeliefert werden.
URLhttps://www.kuckucknotizen.at/kuckuck/index.php/1-21-code/
PersonenMaja-Lee Voigt, Cesrin Schneider, Charlotte Niewerth, Juliane Bötel

Beschreibung

Zwischen knallig-künstlicher, fast aufdringlicher Sichtbarkeit und algorithmisch-abstrakter Unsichtbarkeit schwebend hat sich eine weitere Infrastruktur in unseren urbanen Alltag geschlichen: die der Informations- und Daten’lieferdienste‘. Konstruiert aus Codes, eingeschrieben in Apparchitekturen verfügen Tech-Unternehmen nicht nur über die monopolartige Daten- und Deutungshoheit kontinuierlich gesammelter Nutzer*inneninformationen. Sie verstehen es außerdem, unsere Wege durch Online-Kartendienste in der Stadt zu leiten, Urbanität profitorientiert digital zu delegieren, soziale, gastronomische Treffpunkte zu eliminieren, urbane Ungleichheiten städtischer Teilhabe zu (re-)produzieren – unterstützt vom limitierten Greifbar- und Bewusstwerden ihres Einflusses. Angesichts dieser ‚algocracy‘, also durch Algorithmen ausgeführte Kontrollmechanismen, werden Fragen zur Materialisierung von Digitalität im Stadtraum zunehmend drängender. Wie verkörpern sich Codes? Welche Auswirkungen hat die durch die Informationsungleichheit produzierte Wissensasymmetrie über die Un_Sichtbarkeit von Daten auf die Wahrnehmung von und den Sinn für Urbanität? Aufbauend auf einer sechsmonatigen Feldforschung zum algorithmengesteuerten Fahrer*innenalltag des Essenslieferdienstes Lieferando widmet sich dieser Artikel der digitalen, städtischen und krisenhaften Informationsinfrastruktur von Gig Work. Die ethnografische Collage zeigt einerseits die hinter dem Essenslieferprozess verborgene Datenlieferung. Ihre unsichtbare Macht diszipliniert Arbeitsverhältnisse und Nutzer*innenverhalten, homogenisiert den Geschmack von Stadt, atomisiert Fahrer*innen und Besteller*innen zugleich. Andererseits birgt die Un_Sichtbarkeit der Codes widerständiges Potenzial: die (Wieder-)Aneignung, das ‚Hacken‘ digitaler Infrastrukturen und ‚Leaken‘ wichtiger Informationen ist grundlegend für alltägliche Fahrer*innen-Praktiken des bundesweiten Solidarisierens, Organisierens, Verknüpfens und Transferierens von bereits angesammeltem, kollektivem Wissen. Verkörpert wird der Protest gegen die automatisierten, unwürdigen Arbeitsprozesse auf der Straße. Hier ist die Stadt eine entscheidende, alltägliche agency der Fahrer*innen im Kampf um öffentliche Anerkennung und faire Arbeitsbedingungen. Ausgehend von der disziplinierenden, überwachungskapitalistischen Un_Sichtbarkeit codierter Informationsinfrastrukturen fordert der Artikel dazu auf, sich – auch stadtforscherisch! – monopolistischer und einseitiger Stadtproduktion digitaler Dienstleister*innen entgegenzustellen. Ihr Herunterbrechen auf kalkulierte, quantitative Verhaltensprognosen zur räumlichen Optimierung wird den komplexen und komplizierten Praktiken der Stadt nicht gerecht. Die Produktion von Urbanität kann und darf nicht von programmierten Algorithmen reduziert, geplant oder kontrolliert, darf nicht der Digitalität ausgeliefert werden.

Zeitraum21.07.2021
Beziehungsdiagramm

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