Rezension Jörn Axel Kämmerer

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  • Jörn Axel Kämmerer

Quellenangaben

TitelJörg Philipp Terhechte, OPEC und europäisches Wettbewerbsrecht. Zugleich ein Beitrag zum Phänomen der Fragmentierung des internationalen Wirtschaftsrechts, EuR 2008, Heft 4, S. 604-606
Land/GebietDeutschland
Datum der Veröffentlichung14.05.08
Beschreibung„Als große Teuerung ins Land kam“, heißt es bei Jacob und Wilhelm Grimm, sahen ein armer Holzhacker und seine Frau keine andere Wahl mehr, als ihre Kinder im Wald auszusetzen. Der Knoten des sich derzeit abspielenden Ölpreisdramas scheint zwar noch nicht so weit geschürzt, dass sich derlei Verzweiflungstaten häufen, doch als existenziell wird der auf nahezu alle Güter und Dienstleistungen fortwirkende Preisschub bei Rohöl längst empfunden. Übersehen wurde und wird mitunter, dass Teuerungen nicht Wirbelstürmen gleich „ins Land“ brausen, sondern durchaus Menschenwerk sind. Von aktuellen Kapitalmarktturbulenzen und Währungsspekulation abgesehen, hat sich seit den siebziger Jahren immer wieder die OPEC, ein Kartell der Ölnettoexportstaaten unter der Fassade einer internationalen Organisation, als Preistreiber erwiesen.
Jörg Philipp Terhechte gebührt das Verdienst, nicht nur diesen Umstand in Erinnerung gerufen, sondern auch dargelegt zu haben, dass die in der Europäischen Union vereinigten Verbraucherländer weder der OPEC noch sonstigen zwischenstaatlichen Kartellen schicksalhaft ausgeliefert sind. Internationale Organisationen sind gegen das europäische Kartellrecht nicht gefeit, wenn sie, wie die OPEC, die wirtschaftliche Tätigkeit ihrer Mitglieder koordinieren, sofern sich diese Absprachen (über Preise, Fördermengen etc.) auf den Gemeinsamen Markt negativ auswirken. Mit der Ahnung solcher Kartellverstöße würde sich die Kommission Ansätze zu Eigen machen, die (de lege lata wie auch ferenda) im US-Antitrustrecht nachgezeichnet werden können. Eine nicht undelikate Rolle fiele womöglich dem OPEC-Sitzstaat Österreich zu, das sich nach (zustimmungswürdiger) Ansicht des Verfassers der Pflicht zum Vollzug kartellrechtlicher Entscheidungen nicht unter Berufung auf das Sitzstaatübereinkommen entziehen kann. Dennoch ist der Kartellzugriff der Kommission, wie Terhechte einräumen muss, begrenzt: Als solche ist die OPEC fast vermögenslos, die Zustellung kartellrechtlicher Entscheidungen wirft unter Immunitätsgesichtspunkten Probleme auf, und immense politische Flurschäden sind zu besorgen. Ein probateres – und angesichts flexiblerer Vollstreckungsoptionen vergleichsweise austrophiles – Remedium gegen die Kartellpraxis der OPEC sieht der Verfasser in Schadensersatzklagen privater Marktteilnehmer. Auch wenn die OPEC in erster Linie als Kartell agiert, sei hier am Rande erwähnt, dass ein Verstoß gegen das Verbot des Marktmissbrauchs vielleicht nicht so fern liegt, wie Terhechte meint: Bei einem Marktanteil von derzeit 40%, der (nach dem Beitritt Angolas und demnächst möglicherweise Brasiliens oder Ecuadors, selbst für den Fall des Austritts Indonesiens) wohl noch anwachsen wird, und dauerhafter Preisführerschaft liegt eine marktbeherrschende Stellung des Ölstaatenoligopols oder gar der OPEC selbst durchaus in Reichweite.
Ein kleiner Wermutstropfen mischt sich in den klaren wettbewerbsrechtlichen Befund dann doch: Das universelle Völkerrecht ächtet internationale Staatshandelskartelle bislang nicht. Terhechte sieht dies primär als Beleg für eine „Fragmentierung“ des internationalen Wirtschaftsrechts, ohne aus dem neutralen Schweigen internationaler Regeln auf die Unzulässigkeit staatlicher und europäischer Wettbewerbsrechtszugriffe schließen zu wollen. Comity grenzt ihn, schon weil sie nach überwiegender Ansicht keinen Rechtsgrundsatz verkörpert, nicht ein, auch nicht, wie Terhechte belegt, die Staatenimmunität. Den Beifall, den man als Europarechtler diesem Befund spenden möchte, dämpft ein leises Unbehagen des Völkerrechtlers: Kann die nach wie vor dezidiert souveränitätsverhaftete Ordnung des Völkerrechts denn billigen, dass sich die freie Marktwirtschaft gegenüber dem konzertierten Merkantilismus durchsetzt? Soweit WTO/GATT-Regeln nicht zur Anwendung kommen und solange völkergewohnheitsrechtliche Regeln Protektionismus und Marktabschottung nicht verbieten, kann das Freihandelsideal völkerrechtlich jedenfalls keine höhere Dignität beanspruchen. Schon das Auswirkungsprinzip als Ansatzpunkt für wettbewerbsrechtliche Aufsichtsmaßnahmen ist vor dem Hintergrund des Interventionsverbotes nicht unbestritten. Wie weit darf dann eine internationale Organisation (welche die EG aus völkerrechtlicher Sicht jedenfalls darstellt) gegen eine andere internationale Organisation
(als welche die OPEC auch als Wirtschaftskartell anerkannt bleiben muss) zur Durchsetzung ihrer Vertragsziele gehen, wenn das Völkerrecht ihnen keine offenkundige Priorität zuerkennt? Ohne einen Lösungsweg weisen zu können, muss sich der Rezensent mit dem Hinweis bescheiden, dass aus völkerrechtsdogmatischer Sicht, was den funktionalen Rang völkerrechtlicher Normen und insbesondere auch die Rechtsbeziehungen unter internationalen Organisationen betrifft, noch so manche Nuss ungeknackt geblieben ist.
Die offene Flanke sichern zu wollen, hätte den Rahmen der Untersuchung möglicherweise gesprengt. Auch so erweist sich Terhechtes Studie als kluge und wohlplatzierte Provokation an die Adresse der OPEC, in welcher der Autor den europarechtlichen Degen souverän zu führen weiß. Europarechtlern, vor allem Wettbewerbsrechtlern, führt die plastische, mit einem ausführlichen englischen Resümee und umfänglichen Hintergrundinformationen versehene Studie erneut vor Augen, in welchem Maße der Gegenstand ihrer Forschung und Rechtspraxis mit der völkerrechtlichen Sphäre verwoben ist. Der EU kann sie Ermutigung sein, ihre in Zukunft nicht leichter werdende Auseinandersetzung mit Staatshandelskartellen wie der OPEC selbstbewusst zu führen.

PersonenJörn Axel Kämmerer
Zeitraum14.05.2008
Beziehungsdiagramm