Sakrale Räume als Welterbestätten: Deterritorialisierungs- und Reterritorialisierungsprozesse im Welterbetourismus, dargestellt am Beispiel des königlichen Hügels von Ambohimanga/Madagaskar
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Tourismusräume sind Räume des Außerordentlichen und stellen durch entsprechende Bedeutungsaufladungen Gegenwelten zum Alltag dar. MacCannells Deutung des Tourismus als einem modernen Ritual (MacCannell 1989) lässt den Touristen aus den profanen Räumen des Alltags in die sakralisierten Räume touristischer Wünsche pilgern. Im Sinne einer religiosité ouverte (Lénoir 2003) treibt ihn dabei die anthropogene Sehnsucht nach dem „Anderen“ als der Möglichkeit, das Eigene besser wahrnehmen, empfinden und unter Umständen transzendieren zu können. Der Tourist bewegt sich damit in einem dynamischen Spielraum zwischen spiritueller Erfahrung, der Suche nach Authentizität und einem oberflächlichen synkretistischen Narzissmus. Der Tourist ist also eine Art von Pilger, oder wie Turner & Turner (1978, S. 20) es ausgedrückt haben: „a tourist is half a pilgrim, if a pilgrim is half a tourist“. Die Ziele der säkularen Touristen lassen sich dabei häufig in denselben Räume verorten wie die Ziele der strenggläubigen Pilger. Sakrale Stätten aller Religionen gelten im weltweiten Tourismus als Sehenswürdigkeiten ersten Ranges.
Eine besondere Rolle im Gefüge des touristischen Geschehens nehmen Welterbestätten ein. Aus der Idee, durch die Vergabe des Welterbetitels Teile des kulturellen Erbes einzelner Länder hervorzuheben, zum Erbe der ganzen Menschheit zu deklarieren und damit auch unter einen besonderen Schutz zu stellen, ist eine Praxis geworden, die mit der Prädikatisierung gleichsam Tourismusräume konstruiert. Dadurch wohnt ihnen jedoch ein starkes Spannungsverhältnis globaler und lokaler Praktiken inne. Durch die Welterbeprädikatisierung wird den Orten eine globalisierte, vielfach durch westliche Vorstellungen geprägte Denkmalkultur oktroyiert und sie werden im Sinne internationaler Tourismusvorstellungen einem Inszenierungsprozess unterzogen. So steht der vor allem durch Schaulust geprägte touristische Umgang mit kulturellem Erbe den Vorstellungen der einheimischen Bevölkerung von einem adäquaten Verhalten gegenüber ihren kulturellen Wurzeln oftmals diametral gegenüber. Dies manifestiert sich besonders an sakralen Stätten, in denen Praktiken und Vorstellungen von Individuen anhand gesellschaftlicher Aushandlungsprozesse in eine kosmische Ordnung eingepasst und dadurch legitimiert und reproduziert werden. Status und Bedeutung dieser somit sakralisierten Orte verlangen ein raumadäquates, meist ritualisiertes Verhalten, welches sich von der an gewöhnlichen Orten üblichen Handlungsoptionalität deutlich absetzt.
Ein Beispiel für ein derartiges Spannungsverhältnis sind die Diskurse um den königlichen Hügel von Ambohimanga, der am 14. Dezember 2001 als bedeutsamster historischer Knotenpunkt und wichtigste Kultstätte Madagaskars als „assoziative Kulturlandschaft“ in die Liste der Weltkulturerbestätten der UNESCO aufgenommen wurde. Mit dem neuen Status als Welterbestätte waren bei der lokalen Bevölkerung einerseits Anerkennung ihrer Traditionen sowie ökonomische Hoffnungen auf einen Welterbetourismus verbunden. Andererseits führte die Prädikatisierung aber auch zu einem neuen Fremdregime durch die in der Hauptstadt Madagaskars angesiedelten nationalen Verwalter sowie zur Einschränkung religiöser Praktiken. Die damit einhergehenden Deterritorialisierungs- und Reterritorialisierungsprozesse durch lokale Bevölkerung, Gläubige, Verwalter und Touristen sollen im Beitrag aufgezeigt werden. Dabei soll einerseits der Frage nachgegangen werden, welche Probleme sich aus der Prädikatisierung und Touristifizierung sakraler Räume ergeben, und andererseits aufgezeigt werden, wie die unterschiedlich geartete Sakralisierung von Räumen sich in den mehr oder weniger ritualisierten Praktiken der gläubigen und der touristischen Pilger widerspiegelt.
Literatur
Lenoir, F. 2003. Les Métamorphoses de Dieu. La nouvelle spiritualité occidentale. Paris: Plon.
MacCannell, D. 1989. The Tourist. A New Theory of the Leisure Class. New York: Schocken.
Turner, V. & Turner, E. 1978. Image and Pilgrimage in Christian Culture. New York: Columbia University Press.
Eine besondere Rolle im Gefüge des touristischen Geschehens nehmen Welterbestätten ein. Aus der Idee, durch die Vergabe des Welterbetitels Teile des kulturellen Erbes einzelner Länder hervorzuheben, zum Erbe der ganzen Menschheit zu deklarieren und damit auch unter einen besonderen Schutz zu stellen, ist eine Praxis geworden, die mit der Prädikatisierung gleichsam Tourismusräume konstruiert. Dadurch wohnt ihnen jedoch ein starkes Spannungsverhältnis globaler und lokaler Praktiken inne. Durch die Welterbeprädikatisierung wird den Orten eine globalisierte, vielfach durch westliche Vorstellungen geprägte Denkmalkultur oktroyiert und sie werden im Sinne internationaler Tourismusvorstellungen einem Inszenierungsprozess unterzogen. So steht der vor allem durch Schaulust geprägte touristische Umgang mit kulturellem Erbe den Vorstellungen der einheimischen Bevölkerung von einem adäquaten Verhalten gegenüber ihren kulturellen Wurzeln oftmals diametral gegenüber. Dies manifestiert sich besonders an sakralen Stätten, in denen Praktiken und Vorstellungen von Individuen anhand gesellschaftlicher Aushandlungsprozesse in eine kosmische Ordnung eingepasst und dadurch legitimiert und reproduziert werden. Status und Bedeutung dieser somit sakralisierten Orte verlangen ein raumadäquates, meist ritualisiertes Verhalten, welches sich von der an gewöhnlichen Orten üblichen Handlungsoptionalität deutlich absetzt.
Ein Beispiel für ein derartiges Spannungsverhältnis sind die Diskurse um den königlichen Hügel von Ambohimanga, der am 14. Dezember 2001 als bedeutsamster historischer Knotenpunkt und wichtigste Kultstätte Madagaskars als „assoziative Kulturlandschaft“ in die Liste der Weltkulturerbestätten der UNESCO aufgenommen wurde. Mit dem neuen Status als Welterbestätte waren bei der lokalen Bevölkerung einerseits Anerkennung ihrer Traditionen sowie ökonomische Hoffnungen auf einen Welterbetourismus verbunden. Andererseits führte die Prädikatisierung aber auch zu einem neuen Fremdregime durch die in der Hauptstadt Madagaskars angesiedelten nationalen Verwalter sowie zur Einschränkung religiöser Praktiken. Die damit einhergehenden Deterritorialisierungs- und Reterritorialisierungsprozesse durch lokale Bevölkerung, Gläubige, Verwalter und Touristen sollen im Beitrag aufgezeigt werden. Dabei soll einerseits der Frage nachgegangen werden, welche Probleme sich aus der Prädikatisierung und Touristifizierung sakraler Räume ergeben, und andererseits aufgezeigt werden, wie die unterschiedlich geartete Sakralisierung von Räumen sich in den mehr oder weniger ritualisierten Praktiken der gläubigen und der touristischen Pilger widerspiegelt.
Literatur
Lenoir, F. 2003. Les Métamorphoses de Dieu. La nouvelle spiritualité occidentale. Paris: Plon.
MacCannell, D. 1989. The Tourist. A New Theory of the Leisure Class. New York: Schocken.
Turner, V. & Turner, E. 1978. Image and Pilgrimage in Christian Culture. New York: Columbia University Press.
Original language | German |
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Title of host publication | Kulturfaktor Spiritualität und Tourismus : Sinnorientierung als Strategie für Destinationen |
Editors | Hans Hopfinger, Harald Pechlaner, Silvia Schön, Christian Antz |
Number of pages | 26 |
Place of Publication | Berlin |
Publisher | Erich Schmidt Verlag |
Publication date | 07.2012 |
Pages | 79-104 |
ISBN (print) | 978-3-503-14116-6 |
ISBN (electronic) | 978-3-503-14117-3 |
Publication status | Published - 07.2012 |
- Tourism studies