Kreativität und der neue Geist des Kapitalismus
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Mit der Studie »Der Neue Geist des Kapitalismus« haben der französische Soziologe Luc Boltanski und die Ökonomin Eve Chiapello eine detaillierte Untersuchung des dynamischen Verhältnisses von Kapitalismus und Kapitalismuskritik vorgelegt. Ausgangspunkt ihrer Analyse sind die Jahre um 1968 in Frankreich, in der sich die zwei teilweise antagonistischen Hauptströmungen der Kapitalismuskritik, die Sozial- und die Künstlerkritik zu einer Allianz verbündeten. Forderungen der Sozialkritik nach mehr Gleichheit und Gerechtigkeit wurden Seite an Seite mit Forderungen der Künstlerkritik nach mehr Autonomie, Kreativität, Authentizität, Befreiung formuliert. Anhand von Managementliteratur aus den 1960er und 1990er Jahren arbeiten Boltanski und Chiapello heraus, wie die Vereinnahmung der Kritik zu einer netzförmigen Organisation avancierter ökonomischer Felder und zu einer projektorientierten Produktions-, aber auch Rechtfertigungslogik beigetragen hat. Dem Idealbild des Neomanagers, wie es Boltanski und Chiapello aus der Managementliteratur herauslesen - ein »kreativer, intuitiv handelnder, erfindungsreicher Mensch mit Visionen, Kontakten, zufälligen Bekanntschaften« -, entsprechen heute durchaus die Anforderungsprofile an professionelle Gestalterinnen und legen die Vermutung nahe, dass zu den neuen Helden des Kapitalismus auch Designer zählen.
Timo Meisel sprach für form+zweck mit Ulf Wuggenig, Direktor des Instituts für Kulturtheorie an der Universität Lüneburg, der sich in einer Reihe von Publikationen mit Boltanski und Chiapello, den heutigen Arbeitsbedingungen im Kulturbereich und den ›Creative Industries‹ auseinandergesetzt hat.
Boltanski und Chiapello leiten Forderungen nach Autonomie, Kreativität, Authentizität und Befreiung aus einem Künstler(selbst)bild des 19. Jahrhunderts ab. Was hat der Lebensstil der Bohème mit den heutigen Selbstentwürfen in den „kreativen" Berufen gemeinsam?
Boltanski und Chiapello vertreten eine Diffusionsthese. Bestimmte Lebensstile werden in kleinen Zirkeln von Künstlern und Intellektuellen entwickelt und verbreiten sich dann nicht nur in Feldern der kulturellen Produktion, sondern unter bestimmten Bedingungen auch in der Gesamtgesellschaft, zum Teil mit erheblicher zeitlicher Verzögerung.
Studien von Daniel Bell bis zu Richard Florida lassen keinen Zweifel an einer Kontinuität der antibürgerlichen Boheme-Kritik des 19. Jahrhunderts und den Werten der im Aufstieg befindlichen »kreativen Klasse«. Zu dem »super-kreativen Kern« dieser neuen »kreativen Klasse«, wie es in Floridas euphemisierendem Jargon heißt, werden neben Künstler(inne)n, Architekt(inn)en, Wissenschaftler(inne)n und Softwareproduzent(inn)en unter anderem auch Designer(innen) gezählt. Die gesamten Berufsgruppen der »professionellen Künstler(innen), Schriftsteller(innen) und Performer(innen)«, deren Anteil in den USA von 250 bezogen auf 100 000 Einwohner(inne)n zu Anfang des 20. Jahrhunderts auf 900 zu dessen Ende angestiegen ist, werden dabei von Florida kurzerhand unter den Begriff der »Bohemians« subsumiert. Historisch war mit diesem Begriff zunächst lediglich eine junge Avantgarde verbunden, mit selbstbestimmtem und freizügigem Lebensstil, wobei der künstlerische Erfolg noch nicht absehbar war.
In einem Interview mit Boutang verwies Boltanski auf die soziale Basis der gegenwärtigen Künstlerkritik und hob zugleich eine Differenz von Sozialkritik und Künstlerkritik hervor, nämlich die Indifferenz letzterer gegenüber Fragen wie Armut, Prekarisierung et cetera: »Es ist zu beachten, dass die Künstlerkritik heute vor allem von Personen getragen wird, die im oberen Teil der sozio-kulturellen Hierarchie platziert sind, die über eine Hochschulausbildung verfügen, die häufig in kreativen Sektoren arbeiten (dem Marketing, der Öffentlichkeitsarbeit, den Medien, der Mode, dem Internet etc.), oder auch in den Finanzmärkten oder in Beratungsgesellschaften, und dass ihre Sensibilisierung für das, was am anderen Ende der sozialen Leiter vor sich geht, (...) nicht weit von Null entfernt ist.«
Künstlerkritik findet in mehreren Spielarten statt. Welche Unterscheidungen haben Boltanski und Chiapello dafür getroffen?
Von der im Wesentlichen gegen Ungleichheit, Ausbeutung, Ungerechtigkeit und den Egoismus der Kapitalinhaber und Besitzenden gerichteten Sozialkritik, die ihre Basis in der Arbeiterklasse und deren Intellektuellen hat, ...
Timo Meisel sprach für form+zweck mit Ulf Wuggenig, Direktor des Instituts für Kulturtheorie an der Universität Lüneburg, der sich in einer Reihe von Publikationen mit Boltanski und Chiapello, den heutigen Arbeitsbedingungen im Kulturbereich und den ›Creative Industries‹ auseinandergesetzt hat.
Boltanski und Chiapello leiten Forderungen nach Autonomie, Kreativität, Authentizität und Befreiung aus einem Künstler(selbst)bild des 19. Jahrhunderts ab. Was hat der Lebensstil der Bohème mit den heutigen Selbstentwürfen in den „kreativen" Berufen gemeinsam?
Boltanski und Chiapello vertreten eine Diffusionsthese. Bestimmte Lebensstile werden in kleinen Zirkeln von Künstlern und Intellektuellen entwickelt und verbreiten sich dann nicht nur in Feldern der kulturellen Produktion, sondern unter bestimmten Bedingungen auch in der Gesamtgesellschaft, zum Teil mit erheblicher zeitlicher Verzögerung.
Studien von Daniel Bell bis zu Richard Florida lassen keinen Zweifel an einer Kontinuität der antibürgerlichen Boheme-Kritik des 19. Jahrhunderts und den Werten der im Aufstieg befindlichen »kreativen Klasse«. Zu dem »super-kreativen Kern« dieser neuen »kreativen Klasse«, wie es in Floridas euphemisierendem Jargon heißt, werden neben Künstler(inne)n, Architekt(inn)en, Wissenschaftler(inne)n und Softwareproduzent(inn)en unter anderem auch Designer(innen) gezählt. Die gesamten Berufsgruppen der »professionellen Künstler(innen), Schriftsteller(innen) und Performer(innen)«, deren Anteil in den USA von 250 bezogen auf 100 000 Einwohner(inne)n zu Anfang des 20. Jahrhunderts auf 900 zu dessen Ende angestiegen ist, werden dabei von Florida kurzerhand unter den Begriff der »Bohemians« subsumiert. Historisch war mit diesem Begriff zunächst lediglich eine junge Avantgarde verbunden, mit selbstbestimmtem und freizügigem Lebensstil, wobei der künstlerische Erfolg noch nicht absehbar war.
In einem Interview mit Boutang verwies Boltanski auf die soziale Basis der gegenwärtigen Künstlerkritik und hob zugleich eine Differenz von Sozialkritik und Künstlerkritik hervor, nämlich die Indifferenz letzterer gegenüber Fragen wie Armut, Prekarisierung et cetera: »Es ist zu beachten, dass die Künstlerkritik heute vor allem von Personen getragen wird, die im oberen Teil der sozio-kulturellen Hierarchie platziert sind, die über eine Hochschulausbildung verfügen, die häufig in kreativen Sektoren arbeiten (dem Marketing, der Öffentlichkeitsarbeit, den Medien, der Mode, dem Internet etc.), oder auch in den Finanzmärkten oder in Beratungsgesellschaften, und dass ihre Sensibilisierung für das, was am anderen Ende der sozialen Leiter vor sich geht, (...) nicht weit von Null entfernt ist.«
Künstlerkritik findet in mehreren Spielarten statt. Welche Unterscheidungen haben Boltanski und Chiapello dafür getroffen?
Von der im Wesentlichen gegen Ungleichheit, Ausbeutung, Ungerechtigkeit und den Egoismus der Kapitalinhaber und Besitzenden gerichteten Sozialkritik, die ihre Basis in der Arbeiterklasse und deren Intellektuellen hat, ...
Original language | German |
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Journal | Form + Zweck |
Volume | 37 |
Issue number | 21 |
Pages (from-to) | 70-77 |
Number of pages | 8 |
ISSN | 0429-1050 |
Publication status | Published - 2005 |
- Science of art