Gutachten zur Umsetzung der grundgesetzlichen Schuldenbremse in Baden-Württemberg

Publikation: Arbeits- oder Diskussionspapiere und BerichteGutachten

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Zentrale Aussagen des Gutachtens 1. Die Einhaltung der grundgesetzlich vorgeschriebenen Schuldenbremse muss das zentrale Ziel der Baden-Wu?rttembergischen Haushaltspolitik der kommenden Jahre sein. Im Jahr 2007 beschloss der Baden-Wu?rttembergische Landtag die Einfu?hrung eines Schuldendeckels in die Landeshaushaltsordnung. In den dann folgenden Haushaltjahren war der Landeshaushalt von den Folgen der Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise nachhaltig betroffen. Dies gilt sowohl auf der Einnahmen- als auch auf der Ausgabenseite. Das vorliegende Gutachten untersucht die ökonomischen und budgetären Auswirkungen und Erfahrungen aus der Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise im Zusammenhang mit den Vorgaben aus dem landesrechtlichen Schuldendeckel und der grundgesetzlichen Schuldenbremse. 2. Das Gutachten weist auf Nachbesserungs- und Weiterentwicklungsnotwendigkeiten der landesrechtlichen Regelungen hin, damit die Schuldenbremse des Grundgesetzes erreicht und eingehalten werden kann. Es zeigt, dass der bestehende Schuldendeckel den Anreiz setzt, anstelle der notwendigen strukturellen Konsolidierungen kurzfristig wirkende Ku?rzungen im Landeshaushalt – etwa durch eine Ku?rzung von Investitionen – vorzunehmen. Dieser Weg ist aus ökonomischer Sicht ungeeignet, um das fu?r das Jahr 2020 vom Grundgesetz vorgeschriebene Ziel eines Landeshaushalts ohne Aufnahme neuer Schulden zu erreichen, denn er vermeidet den dringend notwendigen Fokus auf die strukturellen Belastungen im Landeshaushalt. Kurzfristige Einsparungen in den Dimensionen, die Paragraph 18 LHO vorschreiben wu?rde (die aktuelle Mittelfristige Finanzplanung stellt einen jährlichen haushaltswirtschaftlichen Handlungsbedarf von ca. 2,5 Milliarden Euro ab 2013 fest), lassen sich aber kurzfristig nicht bei den strukturellen Belastungen erreichen. Dort sind sie aber notwendig, damit die grundgesetzlich vorgegebene Schuldenbremse ab 2020 eingehalten werden kann. 3. Das Gutachten schlägt deshalb vor, den Fokus auf den Abbau struktureller Ausgabenverpflichtungen zu legen und dazu die Verpflichtung zum Defizitabbau in jährlich gleichen Stufen bis 2020 in der Landesverfassung zu verankern. Dadurch entsteht die dringend notwendige Selbstverpflichtung auf eine vorausschauende Konsolidierungspolitik. Strukturelle Veränderungen im Landeshaushalt verlangen einschneidende Entscheidungen schon heute, deren voller Spareffekt im Haushalt aber erst in einigen Jahren wirksam werden wird („Remanenz“). 4. Es wird eine Verfassungsänderung in Artikel 84 und 84a LV BW vorgeschlagen. Diese bewirkt fu?r Landesregierung und Landtag einen deutlich höheren Verpflichtungsgrad als dies mit der Regelung in Paragraph 18 LHO erreicht werden kann. Daru?ber hinaus eröffnet die Verankerung in Artikel 84a LV BW der jeweiligen Opposition auch Klagemöglichkeiten beim Staatsgerichtshof bei Nichteinhaltung der Regelungen. 5. Der Schuldendeckel in Paragraph 18 LHO läuft auf Grund der ökonomischen und budgetären Entwicklung seit der Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise leer. Daru?ber hinaus besteht seit 2009 fu?r die Bundesländer die höherrangige Regelung der Schuldenbremse in den Grundgesetzartikeln 109 und 143d. Der Landesgesetzgeber ist deshalb zu einer Weiterentwicklung der bisherigen Schuldenbegrenzungsregelung in Paragraph 18 LHO nicht nur berechtigt, sondern auch rechtlich verpflichtet (siehe das juristische Gutachten in Anlage I). Die neue Regelung, die an die Stelle des Paragraph 18 LHO tritt, muss sich an dem zentralen Ziel der Einhaltung der grundgesetzlichen Schuldenbremse in 2020 ausrichten. 6. Das Verhältnis der Personalausgaben zu Steuereinnahmen zeigt: Obwohl die Steuereinnahmen aktuell auf dem Niveau von 2008 liegen, wirkt sich die Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise nach wie vor massiv auf den Landeshaushalt aus. Das liegt daran, dass bei einer ru?ckläufigen stagnierenden Wachstumsrate der Steuereinnahmen in den drei Jahren zwischen 2008 und 2011 die Personalausgaben um rund 1,5 Milliarden Euro gestiegen sind. Zwar konnte Baden-Wu?rttemberg seinen Haushalt 2011 (und vermutlich auch 2012) aufgrund von Ru?cklageentnahmen ausgleichen. Diese Einmal-Effekte sollten jedoch nicht u?ber bestehende strukturelle Mehrbelastungen hinwegtäuschen, die in den kommenden Jahren strukturelle Defizite wahrscheinlich machen. 7. Daru?ber hinaus erkennt das Gutachten aber auch grundsätzlichen Nachbesserungs- und Änderungsbedarf des aktuellen Paragraphen 18 LHO. Dies betrifft folgende Punkte: -Paragraph 18 Absatz 3 Nummer 1 LHO unterschätzt die haushaltswirtschaftliche Wirkdauer von Krisen. - Paragraph 18 Absatz 3 Nummer 1 LHO ist ungenau in Bezug auf Brutto- vs. Nettogrößen. Die Konsequenzen sind bei der Anwendung von großer Bedeutung. - Paragraph 18 Absatz 3 Nummer 2 LHO klärt keine Fristwirkung fu?r die Berechtigung der Nettokreditaufnahme aufgrund „schwerwiegender Situation“. Damit fu?hrt er in Krisenzeiten zu Prognose-Unsicherheiten. 8. Durch die Einfu?hrung der grundgesetzlichen Schuldenbremse im Jahr 2009 (also nach der Verabschiedung des aktuell gu?ltigen Paragraphen 18 LHO) hat sich ein grundsätzliches Spannungsverhältnis zwischen Landes- und Bundesregeln ergeben, das durch eine Überarbeitung von Paragraph 18 LHO geklärt werden muss (z.B. bei der Konjunkturbereinigungsregel). Der baden-wu?rttembergische Gesetzgeber ist bei der ku?nftigen Gestaltung seines Staatsschuldenrechts in weitaus höherem Maße bundesrechtlichen Bindungen unterworfen als dies 2007 bei der Schaffung des heutigen § 18 LHO der Fall war. Denn Art. 143d Abs. 1 S. 3 und 4 GG verpflichten die Länder dazu, den wirksamsten rechtlich und tatsächlich möglichen sowie ökonomisch verantwortbaren Weg einzuschlagen, das fu?r das Jahr 2020 vom Grundgesetz vorgeschriebene Ziel einen Landeshaushalt ohne Aufnahme neuer Schulden zu erreichen. Den baden-wu?rttembergischen Gesetzgeber trifft deshalb eine verfassungsrechtliche Pflicht zur Nachbesserung von § 18 LHO, weil sich die Norm aufgrund der tatsächlichen Entwicklung seit 2008 im Hinblick auf die Zielvorgabe des Grundgesetzes als wirkungslos oder sogar als hinderlich erwiesen hat. 9. Der geeignete Weg ist eine Neufassung von Art. 84 in der Landesverfassung sowie eine Verankerung der Verpflichtung zum Defizitabbau in jährlich gleichen Stufen bis 2020. Dieser Vorschlag enthält zum einen die notwendigen Vorschriften fu?r Konjunkturbereinigung, Notlagen und die Bereinigung von Einnahmen und Ausgaben um Sondereinflu?sse. Zum anderen verpflichtet die Übergangsvorschrift die Landesregierung in doppelter Weise zu einer hohen Verbindlichkeit und Transparenz dieser Abbauplanung: Die Landesregierung hat dem Landtag einen mehrjährigen Plan fu?r die jährliche Senkung der Ausgaben zur Beschlussfassung vorzulegen, der mindestens diese Legislaturperiode bis 2016 abdeckt. Daru?ber hinaus ist dem Landtag eine fortzuschreibende Gesamtplanung der Defizitreduzierung bis 2020 vorzulegen. 10. Durch dieses Vorgehen wu?rde sich Baden-Wu?rttemberg per freiwilliger Selbstbindung fu?r den Zeitraum bis 2020 einen eindeutigen und transparenten Verpflichtungsrahmen geben. Dieser Verpflichtungsrahmen entspricht den harten Vorgaben, die bislang nur diejenigen Länder einhalten mu?ssen, die Konsolidierungshilfen von Bund und Ländern beziehen. Damit wird Baden-Wu?rttemberg wiederum der grundsätzlichen Intention gerecht, die der 2007 einstimmig im Landtag verabschiedeten Neuformulierung des Paragraphen 18 LHO zugrunde lag. Baden-Wu?rttemberg entschied sich damals eine Vorreiterrolle unter den Bundesländern bei der rechtlichen Absicherung von fiskalischer Disziplin und Verantwortung zu u?bernehmen. Diese Entscheidung wird mit den Vorschlägen dieses Gutachtens konsequent fortgefu?hrt.
OriginalspracheDeutsch
ErscheinungsortBerlin
VerlagHertie School of Governance Publishing
Seiten1-164
Anzahl der Seiten164
PublikationsstatusErschienen - 2012

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