Internationale Graduiertentagung "Beyond Signification. Nach den Zeichen" - 2007
Aktivität: Wissenschaftliche und künstlerische Veranstaltungen › Konferenzen › Forschung
Sebastian Vehlken - Sprecher*in
Lebens-Zeichen. Schwärme erkennen - schwärmerisches Erkennen
Wenn heute "Wirklichkeit" wiederkehrt, kehrt sie als Möglichkeit wieder. Das gegenwärtige Interesse etwa an einer historisch-epistemologischen Erforschung von Computersimulationen mag dies illustrieren: Überall dort, wo die Komplexität realweltlicher Phänomene die Kapazitäten der traditionellen epistemologischen Verfahren von Theorie und Experiment zu übersteigen beginnt, überall dort, wo analytische Problemlösungsverfahren an ihre Grenzen stoßen oder Experimentalsysteme an den Materialitäten ihrer Laborgeräte und den Unschärfephänomenen ihrer Beobachtungsmedien scheitern, werden Computersimulationen als "computer-as-nature" (Peter Galison), als erkenntnistheoretischer Weg zwischen Theorie und Experiment eingesetzt. Simulationsverfahren oszillieren dabei gleichzeitig zwischen den Polen von technischem und epistemischem Ding (Hans-Jörg Rheinberger) und etablieren etwas, dass man vielleicht "immaterial culture" der Wissenschaften nennen müßte: Diese verliert ihre Widerständigkeit, gewinnt aber im Gegenzug die Fähigkeit, eben jede "material culture" simulieren zu können. Nicht reduzierbar auf konkrete Computer-Hardware, aber doch unter der Maxime der Mitreflexion dieser Materialität, eröffnen Computersimulationen mindestens dreierlei Verschiebungen im Verständnis von "Wirklichkeit" und eröffnen so eine "postmoderne" Form von Wissenschaft: Erstens bekennen sich Simulationen zur Fiktion: Sie schreiben szenarienhaft "Synthetic Histories" (Claus Pias) und existieren daher je schon im Plural: Jede Simulation wird zu einem eigenen Fall mit eigenem Anwendungskontext, dessen Geschichte untersucht und mit alternativen Geschichten verglichen werden kann (Herman Kahn) - zu einem Fall von trial and error. Zweitens beinhalten Computersimulationen eine radikal zeitliche Dimension: Erkenntnisproduktion geschieht nurmehr in ihrem Durchlauf. Und als prognostische Prozesse implementieren sie das Futurum Exactum (Norbert Wiener) in der wissenschaftliche Forschung. Sie existieren im irreversiblen Modus der Dauer (Henri Bergson), da sich in ihnen das Präsens der Codierung, die Zukunft der Prognose und die Hypothetizität ihrer Approximationen verwickeln (Gabriele Gramelsberger): Der Rückblick auf Zukünftiges wirkt in einem Feedback-Regelkreis stets auf eben jene "Wirklichkeit" ein, die Grundlage der Simulation ist. Dies kommt einem Dekonstruktionsprozess von Vorgängigkeiten und Nachträglichkeiten gleich, bei dem Erkenntnisrelationen an die Stelle von "Wirklichkeit" treten. So sind Computersimulationen drittens durch einen eigenartigen ontologischen Status fern jeder klassischen Substanzbegriffe geprägt: "materiell" nur als symbolischer Code, scheren sie sich nicht um eine ontologische Strukturäquivalenz zu Phänomen der "Wirklichkeit" - und sind auf dieser Ebene vielleicht poststrukturell in wörtlichem Sinne: Denn an deren Stelle tritt ein Primat der Operationalität, das sich anhand von Visualisierungen vollzieht: Erst diese eröffnen Erkenntnisebenen, die analytischen Lösungsverfahren entgehen. Poststrukturalismus ist in dieser Lesart also keineswegs Wirklichkeitsvergessenheit, sondern schließt Möglichkeiten über die Operationalisierung von Erkenntnisrelationen zu Wirklichkeiten kurz, die Aussagen über komplexe Wissensobjekte ermöglichen. Diese Verschiebungen lassen sich exemplarisch am Wissensobjekt Schwarm konkretisieren, das auch den poststrukturalistischen Diskurs belebte (Deleuze/ Guattari). Schwärme konstituieren sich unter der Variable steter raumzeitlicher Bewegung unablässig neu, sind in einem ständigen Werden begriffen - eine Ontologie des Schwarms kann sich je nur auf ein Sein als relationales Sein berufen, als Zwischenergebnis der Verschaltungen seiner Elemente. Darüber hinaus adressieren sie eine perspektivische Paradoxie: Je näher man dem aus der Ferne relativ klar umrissenen Schwarm-Kollektiv kommt, desto stärker verschwimmt seine Form, desto stärker übersteigt es das visuelle Vermögen des Beobachters, bis es ab einer bestimmten Schwelle nichts weiter ist als Rauschen, als Störung. Anhand einer Mediengeschichte der Fischschwarmforschung lässt sich hierbei ein Prozess der Wissensproduktion über die "Wirklichkeit" des Schwarms unter sich wandelnden medientechnischen Bedingungen nachvollziehen, von optischen Aufzeichnungen hin zu mathematischen Modellen und Simulationen. Diese Informatisierung der Biologie überschneidet sich und wechselwirkt mit einer Biologisierung der Informatik, in der das Wissensobjekt dieser Computersimulationen - so eine vorläufige Pointe - in einer weiteren Feedback-Schleife selbst deren Software-Baustein wird: Erst im digitalen Bild - das es bekanntlich nicht gibt - findet der Schwarm zu sich.
Wenn heute "Wirklichkeit" wiederkehrt, kehrt sie als Möglichkeit wieder. Das gegenwärtige Interesse etwa an einer historisch-epistemologischen Erforschung von Computersimulationen mag dies illustrieren: Überall dort, wo die Komplexität realweltlicher Phänomene die Kapazitäten der traditionellen epistemologischen Verfahren von Theorie und Experiment zu übersteigen beginnt, überall dort, wo analytische Problemlösungsverfahren an ihre Grenzen stoßen oder Experimentalsysteme an den Materialitäten ihrer Laborgeräte und den Unschärfephänomenen ihrer Beobachtungsmedien scheitern, werden Computersimulationen als "computer-as-nature" (Peter Galison), als erkenntnistheoretischer Weg zwischen Theorie und Experiment eingesetzt. Simulationsverfahren oszillieren dabei gleichzeitig zwischen den Polen von technischem und epistemischem Ding (Hans-Jörg Rheinberger) und etablieren etwas, dass man vielleicht "immaterial culture" der Wissenschaften nennen müßte: Diese verliert ihre Widerständigkeit, gewinnt aber im Gegenzug die Fähigkeit, eben jede "material culture" simulieren zu können. Nicht reduzierbar auf konkrete Computer-Hardware, aber doch unter der Maxime der Mitreflexion dieser Materialität, eröffnen Computersimulationen mindestens dreierlei Verschiebungen im Verständnis von "Wirklichkeit" und eröffnen so eine "postmoderne" Form von Wissenschaft: Erstens bekennen sich Simulationen zur Fiktion: Sie schreiben szenarienhaft "Synthetic Histories" (Claus Pias) und existieren daher je schon im Plural: Jede Simulation wird zu einem eigenen Fall mit eigenem Anwendungskontext, dessen Geschichte untersucht und mit alternativen Geschichten verglichen werden kann (Herman Kahn) - zu einem Fall von trial and error. Zweitens beinhalten Computersimulationen eine radikal zeitliche Dimension: Erkenntnisproduktion geschieht nurmehr in ihrem Durchlauf. Und als prognostische Prozesse implementieren sie das Futurum Exactum (Norbert Wiener) in der wissenschaftliche Forschung. Sie existieren im irreversiblen Modus der Dauer (Henri Bergson), da sich in ihnen das Präsens der Codierung, die Zukunft der Prognose und die Hypothetizität ihrer Approximationen verwickeln (Gabriele Gramelsberger): Der Rückblick auf Zukünftiges wirkt in einem Feedback-Regelkreis stets auf eben jene "Wirklichkeit" ein, die Grundlage der Simulation ist. Dies kommt einem Dekonstruktionsprozess von Vorgängigkeiten und Nachträglichkeiten gleich, bei dem Erkenntnisrelationen an die Stelle von "Wirklichkeit" treten. So sind Computersimulationen drittens durch einen eigenartigen ontologischen Status fern jeder klassischen Substanzbegriffe geprägt: "materiell" nur als symbolischer Code, scheren sie sich nicht um eine ontologische Strukturäquivalenz zu Phänomen der "Wirklichkeit" - und sind auf dieser Ebene vielleicht poststrukturell in wörtlichem Sinne: Denn an deren Stelle tritt ein Primat der Operationalität, das sich anhand von Visualisierungen vollzieht: Erst diese eröffnen Erkenntnisebenen, die analytischen Lösungsverfahren entgehen. Poststrukturalismus ist in dieser Lesart also keineswegs Wirklichkeitsvergessenheit, sondern schließt Möglichkeiten über die Operationalisierung von Erkenntnisrelationen zu Wirklichkeiten kurz, die Aussagen über komplexe Wissensobjekte ermöglichen. Diese Verschiebungen lassen sich exemplarisch am Wissensobjekt Schwarm konkretisieren, das auch den poststrukturalistischen Diskurs belebte (Deleuze/ Guattari). Schwärme konstituieren sich unter der Variable steter raumzeitlicher Bewegung unablässig neu, sind in einem ständigen Werden begriffen - eine Ontologie des Schwarms kann sich je nur auf ein Sein als relationales Sein berufen, als Zwischenergebnis der Verschaltungen seiner Elemente. Darüber hinaus adressieren sie eine perspektivische Paradoxie: Je näher man dem aus der Ferne relativ klar umrissenen Schwarm-Kollektiv kommt, desto stärker verschwimmt seine Form, desto stärker übersteigt es das visuelle Vermögen des Beobachters, bis es ab einer bestimmten Schwelle nichts weiter ist als Rauschen, als Störung. Anhand einer Mediengeschichte der Fischschwarmforschung lässt sich hierbei ein Prozess der Wissensproduktion über die "Wirklichkeit" des Schwarms unter sich wandelnden medientechnischen Bedingungen nachvollziehen, von optischen Aufzeichnungen hin zu mathematischen Modellen und Simulationen. Diese Informatisierung der Biologie überschneidet sich und wechselwirkt mit einer Biologisierung der Informatik, in der das Wissensobjekt dieser Computersimulationen - so eine vorläufige Pointe - in einer weiteren Feedback-Schleife selbst deren Software-Baustein wird: Erst im digitalen Bild - das es bekanntlich nicht gibt - findet der Schwarm zu sich.
07.12.2007 → 08.12.2007
Internationale Graduiertentagung "Beyond Signification. Nach den Zeichen" - 2007
Veranstaltung
Internationale Graduiertentagung "Beyond Signification. Nach den Zeichen" - 2007
07.12.07 → 08.12.07
Berlin, DeutschlandVeranstaltung: Konferenz
- Kulturinformatik
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