Frühjahrstagung der Sektion Methoden der empirischen Sozialforschung der DGS
Aktivität: Wissenschaftliche und künstlerische Veranstaltungen › Konferenzen › Forschung
Norma Osterberg-Kaufmann - Präsentator*in
Einstellungsmessung in der vergleichenden Politikwissenschaft. Repertory Grid als mögliche methodische Alternative.
Dieser Beitrag möchte die in der Psychologie entwickelte Methode des Repertory Grid Interviews (Kelly 1955, Jankovicz 2004) auch für die Politikwissenschaft zugänglich machen und diskutieren inwieweit die Datenbasis der Einstellungsforschung durch Repertory Grid im Sinne eines „nested analysis approach“ (Liebermann 2005) verbessert werden kann. Erfahrungen mit der Methode sowie Vor- und Nachteile sollen auf der Basis einer durchgeführten Pilotstudie zur Wahrnehmung der Legitimation der EU (Osterberg-Kaufmann i.E.) beleuchtet werden.
Im europäischen Integrationsprozess wird die Konfrontation zwischen unterschiedlichen Konzeptionen von Europa und politischen Institutionen der Bürger und nationalen Regierungen der einzelnen Staaten deutlich. Grundlegende Fragen sind hier, ob tatsächlich von einem universellen Demokratiebegriff ausgegangen werden kann oder ob unterschiedliche kulturelle und sozioökonomische Voraussetzungen in den verschiedenen Ländern zu einem unterschiedlichen Verständnis führen. Was meint Demokratie und was sollen die Demokratie und ihre Institutionen leisten? Welche Werte und Normen sind demnach Funktionsbedingungen für die jeweilige Demokratie und welches Legitimitätsverständnis liegt den Einstellungen gegenüber der EU und ihren Institutionen zu Grunde? Die Schlüsselfrage der Debatte um die Legitimität und Demokratiedefizite der EU ist, ob die Herrschaftsausübung der EU am demokratischen Legitimitätskonzept gemessen werden soll (Höreth 1999) oder ob demokratische Verfahren auf europäischer Ebene völlig unnötig sind, weil die EU als bloßer Zweckverbund oder „regulatory state“ (Majone 1996) über die demokratisch legitimierten Mitgliedsstaaten die Legitimität der Entscheidungen auf europäischer Ebene vorab sicherstellt. Die auf erster Position basierenden Erwartung einer tiefgreifenden Delegitimierung der EU-Herrschaftsordnung ließ sich auf der Einstellungsebene der Bürger mittels Umfragedaten der Eurobarometer 1982-2007 erstaunlicherweise nicht nachweisen (Beichelt 2010). Möglicherweise ist die These vom Demokratiedefizit und Legitimitätsproblemen der EU (Kielmannsegg 1996, Blondel et al. 1998, Katz und Weßels 1999, Scharpf 1999, Thomassen und Schmidt 1999, Fuchs 2003) schlicht und ergreifend nicht haltbar und die EU wird als bloßer Zweckverband wahrgenommen, der keiner eigenen Legitimation bedarf (Majone 1996, Ipsen 1972).
Auch vergleichbare Daten wie Menschen zu den Prinzipien und Institutionen von Demokratie eingestellt sind (Diamond 2008; Welzel/Inglehart 2008) ist über zahlreiche standardisierte Umfragen verfügbar. Angesichts einiger unerwarteter Ergebnisse auf Basis dieser Umfragen, wie beispielsweise höherer Zustimmungswerte zu Demokratie in Albanien und Azerbaijan als in der Schweiz oder Schweden (Welzel/Inglhart 2008), stellt sich jedoch die Frage nach der Substanz (Dalton/Shin/Jou 2007) der weltweit überwältigenden Befürwortung von Demokratie (Inglehart 2003, Pickel 2006, Dalton/Shin/Jou 2007). Möglicherweise führen aber auch Defizite der Erhebungsmethode zu diesen Ergebnissen, bei dem es sich dann lediglich um wissenschaftliche Artefakte handelt.
Die Defizite ausschließlich standardisierter Methoden sind vielfach für die politische Kulturforschung diskutiert (Pickel 2006, Lauth et al. 2009), als auch hinsichtlich der grundsätzlichen Frage, ob Legitimitätsforschung als „Messung“ oder als „Beurteilung“ verstanden werden soll (Zürn 2011a, 2011b, Patberg 2013, Zürn 2013). Diese Debatte um die Modelle der empirischen Legitimitätsforschung soll neben der Diskussion der angemessenen Datenbasis aufgegriffen und weitergeführt werden. Insbesondere die Problematik sprachlicher und kultureller Äquivalenz in standardisierter Forschung soll hier diskutiert werden sowie die Phänomene der sozialen Erwünschtheit und des Lippenbekenntnisses. Das Resümee in der Literatur ist, dass profunde vergleichende Forschung zu Werten, Normen und Verhalten der standardisierten Interviews bedarf und Aufgabe der qualitativen Forschung es indes sei, eine solide Basis für das Design der quantitativen Forschung zu schaffen (Pickel 2009, S. 303). Die vergleichende Politikwissenschaft versucht von beiden Ansätzen gleichermaßen zu profitieren indem sie dafür plädiert, beide in mixed-methods-designs zu kombinieren (Pickel 2009, S. 309). Während benachbarte Disziplinen einen solchen Ansatz seit Jahrzehnten verwenden, ist die vergleichende Politikwissenschaft, und die Politikwissenschaft generell (Scheer 2008), noch immer im Wettstreit zwischen quantitativer Forschung und qualitativer Forschung verhaftet.
Die Besonderheit von Repertory Grid liegt in der Kombination sowohl des qualitativen als auch des quantitativen Ansatzes. Die Datenerhebung ist qualitativ und gewährleistet damit ein hohes Lösungspotential für die sprachliche und kulturelle Äquivalenzproblematik. Die Analyse der Daten ist jedoch, neben qualitativen Auswertungsverfahren, auch quantitativ. Somit wird eine Vergleichbarkeit und Übertragbarkeit der gewonnen Erkenntnisse vom Sample auf eine größere Gruppe möglich. Da Repertory Grid weder mit bereits formulierten Fragen noch vorgefertigten Antwortskalen arbeitet, sondern mit den Worten und Bewertungsskalen der Befragten selbst, soll auch diskutiert werden, inwieweit Repertory Grid ein Brückenschlag zwischen den Positionen der empirischen Legitimitätsforschung „messen vs. beurteilen“ (Patberg 2013) sein kann.
Damit verspricht die Anwendung der Repertory-Grid-Methode für die Frage nach dem Verständnis von Demokratie und der Wahrnehmung von Legitimität im internationalen Vergleich möglicherweise einen völlig neuen Zugang und Erkenntnisgewinn für die Demokratie- und Europaforschung.
Dieser Beitrag möchte die in der Psychologie entwickelte Methode des Repertory Grid Interviews (Kelly 1955, Jankovicz 2004) auch für die Politikwissenschaft zugänglich machen und diskutieren inwieweit die Datenbasis der Einstellungsforschung durch Repertory Grid im Sinne eines „nested analysis approach“ (Liebermann 2005) verbessert werden kann. Erfahrungen mit der Methode sowie Vor- und Nachteile sollen auf der Basis einer durchgeführten Pilotstudie zur Wahrnehmung der Legitimation der EU (Osterberg-Kaufmann i.E.) beleuchtet werden.
Im europäischen Integrationsprozess wird die Konfrontation zwischen unterschiedlichen Konzeptionen von Europa und politischen Institutionen der Bürger und nationalen Regierungen der einzelnen Staaten deutlich. Grundlegende Fragen sind hier, ob tatsächlich von einem universellen Demokratiebegriff ausgegangen werden kann oder ob unterschiedliche kulturelle und sozioökonomische Voraussetzungen in den verschiedenen Ländern zu einem unterschiedlichen Verständnis führen. Was meint Demokratie und was sollen die Demokratie und ihre Institutionen leisten? Welche Werte und Normen sind demnach Funktionsbedingungen für die jeweilige Demokratie und welches Legitimitätsverständnis liegt den Einstellungen gegenüber der EU und ihren Institutionen zu Grunde? Die Schlüsselfrage der Debatte um die Legitimität und Demokratiedefizite der EU ist, ob die Herrschaftsausübung der EU am demokratischen Legitimitätskonzept gemessen werden soll (Höreth 1999) oder ob demokratische Verfahren auf europäischer Ebene völlig unnötig sind, weil die EU als bloßer Zweckverbund oder „regulatory state“ (Majone 1996) über die demokratisch legitimierten Mitgliedsstaaten die Legitimität der Entscheidungen auf europäischer Ebene vorab sicherstellt. Die auf erster Position basierenden Erwartung einer tiefgreifenden Delegitimierung der EU-Herrschaftsordnung ließ sich auf der Einstellungsebene der Bürger mittels Umfragedaten der Eurobarometer 1982-2007 erstaunlicherweise nicht nachweisen (Beichelt 2010). Möglicherweise ist die These vom Demokratiedefizit und Legitimitätsproblemen der EU (Kielmannsegg 1996, Blondel et al. 1998, Katz und Weßels 1999, Scharpf 1999, Thomassen und Schmidt 1999, Fuchs 2003) schlicht und ergreifend nicht haltbar und die EU wird als bloßer Zweckverband wahrgenommen, der keiner eigenen Legitimation bedarf (Majone 1996, Ipsen 1972).
Auch vergleichbare Daten wie Menschen zu den Prinzipien und Institutionen von Demokratie eingestellt sind (Diamond 2008; Welzel/Inglehart 2008) ist über zahlreiche standardisierte Umfragen verfügbar. Angesichts einiger unerwarteter Ergebnisse auf Basis dieser Umfragen, wie beispielsweise höherer Zustimmungswerte zu Demokratie in Albanien und Azerbaijan als in der Schweiz oder Schweden (Welzel/Inglhart 2008), stellt sich jedoch die Frage nach der Substanz (Dalton/Shin/Jou 2007) der weltweit überwältigenden Befürwortung von Demokratie (Inglehart 2003, Pickel 2006, Dalton/Shin/Jou 2007). Möglicherweise führen aber auch Defizite der Erhebungsmethode zu diesen Ergebnissen, bei dem es sich dann lediglich um wissenschaftliche Artefakte handelt.
Die Defizite ausschließlich standardisierter Methoden sind vielfach für die politische Kulturforschung diskutiert (Pickel 2006, Lauth et al. 2009), als auch hinsichtlich der grundsätzlichen Frage, ob Legitimitätsforschung als „Messung“ oder als „Beurteilung“ verstanden werden soll (Zürn 2011a, 2011b, Patberg 2013, Zürn 2013). Diese Debatte um die Modelle der empirischen Legitimitätsforschung soll neben der Diskussion der angemessenen Datenbasis aufgegriffen und weitergeführt werden. Insbesondere die Problematik sprachlicher und kultureller Äquivalenz in standardisierter Forschung soll hier diskutiert werden sowie die Phänomene der sozialen Erwünschtheit und des Lippenbekenntnisses. Das Resümee in der Literatur ist, dass profunde vergleichende Forschung zu Werten, Normen und Verhalten der standardisierten Interviews bedarf und Aufgabe der qualitativen Forschung es indes sei, eine solide Basis für das Design der quantitativen Forschung zu schaffen (Pickel 2009, S. 303). Die vergleichende Politikwissenschaft versucht von beiden Ansätzen gleichermaßen zu profitieren indem sie dafür plädiert, beide in mixed-methods-designs zu kombinieren (Pickel 2009, S. 309). Während benachbarte Disziplinen einen solchen Ansatz seit Jahrzehnten verwenden, ist die vergleichende Politikwissenschaft, und die Politikwissenschaft generell (Scheer 2008), noch immer im Wettstreit zwischen quantitativer Forschung und qualitativer Forschung verhaftet.
Die Besonderheit von Repertory Grid liegt in der Kombination sowohl des qualitativen als auch des quantitativen Ansatzes. Die Datenerhebung ist qualitativ und gewährleistet damit ein hohes Lösungspotential für die sprachliche und kulturelle Äquivalenzproblematik. Die Analyse der Daten ist jedoch, neben qualitativen Auswertungsverfahren, auch quantitativ. Somit wird eine Vergleichbarkeit und Übertragbarkeit der gewonnen Erkenntnisse vom Sample auf eine größere Gruppe möglich. Da Repertory Grid weder mit bereits formulierten Fragen noch vorgefertigten Antwortskalen arbeitet, sondern mit den Worten und Bewertungsskalen der Befragten selbst, soll auch diskutiert werden, inwieweit Repertory Grid ein Brückenschlag zwischen den Positionen der empirischen Legitimitätsforschung „messen vs. beurteilen“ (Patberg 2013) sein kann.
Damit verspricht die Anwendung der Repertory-Grid-Methode für die Frage nach dem Verständnis von Demokratie und der Wahrnehmung von Legitimität im internationalen Vergleich möglicherweise einen völlig neuen Zugang und Erkenntnisgewinn für die Demokratie- und Europaforschung.
04.04.2014 → 05.04.2014
Frühjahrstagung der Sektion Methoden der empirischen Sozialforschung der DGS
Veranstaltung
Frühjahrstagung der Sektion Methoden der empirischen Sozialforschung der DGS: „Experimentelle Techniken in den Sozialwissenschaften“
04.04.14 → 05.04.14
Eichstätt, DeutschlandVeranstaltung: Konferenz
- Politikwissenschaft - Europäische Union, Legitimität, Demokratie, Methoden