Transkulturalität der europäischen Literatur. Zwischen islamischer Aufklärung und jüdischem Exil (DFG Heisenbergförderung)
Project: Research
Project participants
- Meyzaud, Maud (Project manager, academic)
Description
I. Das Licht aus dem Orient: Ḥayy ibn Yaqẓān in der europäischen Aufklärung(1671-1765)
Die im 12. Jahrhundert entstandene philosophische Erzählung des gebürtigen Andalusiers ʿAbū Baker ibn Ṭufail Ḥayy ibn Yaqẓān (wörtlich: „Lebendig, Sohn des Wachsamen“) wurde in Nordeuropa unter dem lateinischen Titel Philosophusautodidactus bekannt und avancierte durch zahlreiche Übersetzungen in europäische Sprachen um 1700 zum Best-Seller. Das Projekt profiliert anhand dieser Rezeption eines klassischen Werkes der islamischen Literatur und Philosophie ein transkulturelles Moment in der Genese der europäischen Aufklärung. Nicht allein der Protestantismus, so die These, sondern die von ihm gesuchte Kontaktzone mit einer ‚islamischen Aufklärung‘ hat der ‚europäischen Aufklärung‘ um 1700 entschieden zum Durchbruch verholfen und wesentlich dazu beigetragen, die grundlegend religiöse Haltung der Akteure zu säkularisieren.
II. Kosmopolitismus der Heimatlosen. Latein amerikanisch-jüdisch-europäischeVerflechtungen am Beispiel von Anatol Rosenfeld und Anna Seghers (1937-1960)Das Projekt untersucht die Begegnung europäisch-jüdischer Intellektueller auf der Flucht vor dem faschistischen Europa mit lateinamerikanischen (Trans-)Kulturen. Ausgangspunkt ist die Beobachtung, dass für die Exilant*innen, die „die Aporiender Menschenrechte“ (Arendt) am eigenen Leib erfahren haben, der europäische Kosmopolitismus keinen existentiellen Halt mehr bietet. An Anatol Rosenfeldsund Anna Seghers’ anti- und ‚postkolonialer‘ Schreibpraxis wird nachvollzogen, wie Kosmopolit*innen auf der Flucht einen Halt in der Heimatlosigkeit finden. Denn die transkulturelle Konvivenz, der sie in lateinamerikanischen Ländern begegnen, konfrontiert Rosenfeld und Seghers mit der eigenen diasporisch-jüdischenGeschichte in Europa. Sie lernen zwei Gewaltgeschichten zu verflechten – und erfinden damit gewissermaßen die methodologischen Grundlagen heutiger kulturwissenschaftlicher Forschung.
Ähnliches gilt bekanntermaßen für Aimé Césaire, der mit Über den Kolonialismus (1950) eine brisante These zur Verflechtung von Kolonialgeschichte und Shoah vorlegte. Césaire ist an den karibischen Netzwerken der 1930er und 1940er Jahre u.a. in Paris und Fort-de-France beteiligt, die am Ausgang eines am Leuphana Institute for Advanced Studies entwickelten Projekts stehen: Caribbean Sketches of an Entangled World (1929-1949) (https://www.leuphana.de/en/research-centers/lias/fellows/maud-meyzaud.html). Dieses versteht sich insofern als Pendant und Ergänzung zum „Kosmopolitismusder Heimatlosen“, als deutsch-jüdische und karibische Intellektuelle im Zweiten Weltkrieg nicht nur Stationen des Exils, sondern auch politische Interessen und die Herausforderungen einer littérature engagée auf der Grundlage ihrer respektiven historischen Marginalisierung und Rassifizierung teilen.
III. Demokratie als Religion. Zur Literatur desFrühsozialismusDas Projekt geht von der Beobachtung einer nahezu ubiquitären neutestamentarischen Sprache der frühsozialistischen Bewegung aus(1830er und 1840er Jahre, Schauplatz Paris). Ich untersuche, warum einesäkulare demokratische Kultur sowohl für den ersten deutschen Kommunismus(Wilhelm Weitling) als auch für den frühsozialistischen Feminismus (EliséeCasaubon, Claire Démar) nur über den Umweg einer entkernten, „reine[n] LehreJesu“ (Weitling) in der Zivilgesellschaft etabliert werden konnte. In dieserexplizit religiösen Spielart der Imagination des demokratischen sozialen Bandesentscheidet sich zugleich was in Abgrenzung dazu fortan als (moderne) Literaturim engeren Sinne gelten wird (Heine, Baudelaire).
Status | Active |
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Period | 01.01.25 → 31.12.27 |
Research outputs
Haiti als Heimat der Heimatlosen. Anna Seghers‘ lateinamerikanische Utopie
Research output: Contributions to collected editions/works › Contributions to collected editions/anthologies › Research
Flucht und lateinamerikanische Konvivenz. Anatol Rosenfelds deutsch(-jüdisch)e Brasilkunde
Research output: Journal contributions › Journal articles › Research
Kosmopolitismus der Geflüchteten. Zur transkulturellen Literaturkritik Anatol Rosenfelds in Brasilien
Research output: Journal contributions › Journal articles › Research › peer-review
Special Issue: Flucht und Verflechtung. Zur Bildung eines ‚unsteten‘ Archivs der Literatur
Research output: Books and anthologies › Special Journal issue › Research
Infrastruktur(en) der Orientalistik und Ästhetik der Aufklärung
Research output: Journal contributions › Journal articles › Research › peer-review
An Arab Predecessor to Western (Trans-)Secular Thought: The European Enlightenment’s Encounters with Ibn Ṭufayl and the Islamic Enlightenment
Research output: Journal contributions › Journal articles › Research › peer-review
Geschwisterlichkeit. Von ästhetischen Gegenentwürfen zur Brüderlichkeit und unmöglichen Gemeinschaften.
Research output: Books and anthologies › Special Journal issue › Research
Zwischen Kosmopolitismus, Judentum und Brasilkunde: Anatol Rosenfelds Essays (1937-1966).
Research output: Books and anthologies › Collected editions and anthologies › Research