Transkulturalität der europäischen Literatur. Zwischen islamischer Aufklärung und jüdischem Exil (DFG Heisenbergförderung)

Project: Research

Project participants

Description

Die drei vom Heisenberg-Programm der DFG geförderten Forschungsprojekte loten das emanzipatorische Potential wie auch die Grenzen von Figuren und Konzepten aus, die allesamt im Universalismus der europäischen Aufklärung verankert sind: freies, autonomes Vernunftsubjekt (Thema I), Kosmo­po­litismus (Thema II) sowie Zivilreligion und Brüderlichkeit (Thema III).
In verschiedenen Konstellationen soll damit die große Erzählung der Säkularisierung kritisch hinterfragt werden, ins­besondere die Idee eines linearen und homogenen Prozesses, der im Christentum verwurzelt ist, wobei transkulturelle Verflechtungen eine besondere Rolle spielen. Methodologisch eintalle Projekte die Auswahl literarischer Korpora, die nicht in den literaturwissenschaftlichen Kanon eingegangen sind: die aufklärerische Rezeption eines Werkes der islamischen Philosophie, die Literaturkritik und Essays eines Exilanten, der nicht nach Europa zurückkehrt, die (Propaganda-)Literatur des Frühsozialismus. Weil diese Texte Teil transkultureller bzw. transnationaler Verflechtungsgeschichten sind, lassen sie sich nämlich kaum nach den herkömmlichen Kriterien fach­licher bzw. nationalsprachlicher Zugehörigkeit zuordnen.

EinzelneProjekte:

I. Das Licht aus dem Orient: Ḥayy ibn Yaqẓān in der europäischen Aufklärung(1671-1765)

Die im 12. Jahrhundert entstandene philosophische Erzählung des gebürtigen Andalusiers ʿAbū Baker ibn Ṭufail Ḥayy ibn Yaqẓān (wörtlich: „Lebendig, Sohn des Wachsamen“) wurde in Nordeuropa unter dem lateinischen Titel Philosophusautodidactus bekannt und avancierte durch zahlreiche Übersetzungen in europäische Sprachen um 1700 zum Best-Seller. Das Projekt profiliert anhand dieser Rezeption eines klassischen Werkes der isla­mischen Literatur und Philosophie ein transkulturelles Moment in der Genese der europäischen Aufklärung. Nicht allein der Protestantismus, so die These, sondern die von ihm gesuchte Kontakt­zone mit einer ‚islamischen Aufklärung‘ hat der ‚europäischen Aufklärung‘ um 1700 ent­schieden zum Durchbruch verholfen und wesentlich dazu beigetragen, die grundlegend religiöse Haltung der Akteure zu säkularisieren.

II. Kosmopolitismus der Heimatlosen. Latein amerikanisch-jüdisch-europäischeVerflechtungen am Beispiel von Anatol Rosenfeld und Anna Seghers (1937-1960)

Das Projekt untersucht die Begegnung europäisch-jüdischer Intellektueller auf der Flucht vor dem faschistischen Europa mit lateinamerikanischen (Trans-)Kulturen. Ausgangspunkt ist die Beobachtung, dass für die Exilant*innen, die „die Aporiender Menschenrechte“ (Arendt) am eigenen Leib erfahren haben, der europäische Kosmopolitismus keinen existentiellen Halt mehr bietet. An Anatol Rosenfeldsund Anna Seghers’ anti- und ‚postkolonialer‘ Schreibpraxis wird nachvollzogen, wie Kosmopolit*innen auf der Flucht einen Halt in der Heimatlosigkeit finden. Denn die transkulturelle Konvivenz, der sie in lateinamerikanischen Ländern begegnen, konfrontiert Rosenfeld und Seghers mit der eigenen diasporisch-jüdischenGeschichte in Europa. Sie lernen zwei Gewaltgeschichten zu verflechten – und erfinden damit gewissermaßen die methodologischen Grundlagen heutiger kulturwissenschaftlicher Forschung.

Ähnliches gilt bekanntermaßen für Aimé Césaire, der mit Über den Kolonialismus (1950) eine brisante These zur Verflechtung von Kolonialgeschichte und Shoah vorlegte. Césaire ist an den karibischen Netzwerken der 1930er und 1940er Jahre u.a. in Paris und Fort-de-France beteiligt, die am Ausgang eines am Leuphana Institute for Advanced Studies entwickelten Projekts stehen: Caribbean Sketches of an Entangled World (1929-1949) (https://www.leuphana.de/en/research-centers/lias/fellows/maud-meyzaud.html). Dieses versteht sich insofern als Pendant und Ergänzung zum „Kosmopolitismusder Heimatlosen“, als deutsch-jüdische und karibische Intellektuelle im Zweiten Weltkrieg nicht nur Stationen des Exils, sondern auch politische Interessen und die Herausforderungen einer littérature engagée auf der Grundlage ihrer respektiven historischen Marginalisierung und Rassifizierung teilen.

III. Demokratie als Religion. Zur Literatur desFrühsozialismus

Das Projekt geht von der Beobachtung einer nahezu ubiquitären neutestamentarischen Sprache der frühsozialistischen Bewegung aus(1830er und 1840er Jahre, Schauplatz Paris). Ich untersu­che, warum einesäkulare demokratische Kultur sowohl für den ersten deutschen Kommunismus(Wilhelm Weitling) als auch für den früh­so­zialistischen Feminismus (EliséeCasaubon, Claire Démar) nur über den Umweg einer entkernten, „reine[n] LehreJesu“ (Weitling) in der Zivilgesellschaft etabliert werden konnte. In dieserexplizit religiösen Spielart der Imagination des demokratischen sozialen Bandesentscheidet sich zugleich was in Abgrenzung dazu fortan als (moderne) Literaturim engeren Sinne gelten wird (Heine, Baudelaire).


StatusActive
Period01.01.2531.12.27

Research outputs