Nachbarschafts-Technologien. Mathematik und Medien dynamischer Netzwerke

Project: Scientific event

Project participants

Description

Blankensee-Colloquium 2012, finanziert und veranstaltet in Kooperation mit dem Wissenschaftskolleg Berlin (Institute for Advanced Studies)

Als der So­zio­lo­gie Tho­mas Schel­ling 1971 sei­ne For­schun­gen zu Ghet­to­bil­dun­gen in US-ame­ri­ka­ni­schen Großstädten veröffent­licht, ist da­mit mehr begründet als eine neu­ar­ti­ge ›Ma­the­ma­tik des So­zia­len‹. In Schel­lings In­ter­es­se an den Me­cha­nis­men so­zia­ler Se­gre­ga­ti­on und sei­nen hier­zu ver­wen­de­ten Mo­del­len kon­ver­giert die Ana­ly­se rea­ler Nach­bar­schafts­dy­na­mi­ken mit ei­ner ›nach­bar­schafts­ori­en­tier­ten‹ For­schungs­me­tho­de. Schel­ling mo­del­liert die Ent­ste­hung ma­kro­sko­pi­scher Mus­ter durch ganz ba­sa­le lo­ka­le – d.h. nach­bar­schaft­li­che – Mi­kro­verhält­nis­se zwi­schen ei­ner fest­ge­leg­ten An­zahl mit­ein­an­der nach ei­nem be­stimm­ten Re­gel-Set in­ter­agie­ren­der ›Agen­ten‹. Die Fra­ge nach Nach­bar­schaf­ten steht da­mit in die­ser zwei­fa­chen Hin­sicht am Be­ginn ei­nes For­schungs­pa­ra­dig­mas, das die kom­ple­xen Sys­tem­ver­hal­tens­wei­sen und nicht­li­nea­ren Dy­na­mi­ken so­zia­ler Kol­lek­ti­ve ge­ne­ra­tiv und pro­zes­sural aus den be­grenz­ten Nach­bar­schafts­verhält­nis­sen ih­rer Ein­zel­ak­teu­re her­vor­bringt. Mit dem Be­griff der Nach­bar­schaft ist da­mit ein Zwi­schen­be­reich skiz­ziert, der die Ein­zel­ak­teu­re mit den Ge­samt­dy­na­mi­ken ei­nes Sys­tems ver­knüpft und da­bei in bei­de Rich­tun­gen ak­ti­vie­rend wirkt.

Auch im Be­reich der ma­the­ma­ti­schen Op­ti­mie­rung und in der Spiel­theo­rie ste­hen Nach­bar­schaf­ten in die­ser dop­pel­ten Les­art zur De­bat­te. In der Op­ti­mie­rung wer­den Nach­bar­schaf­ten als theo­re­tisch gut be­herrsch­ba­re Me­tho­de be­nutzt, um ef­fi­zi­ent gute Pro­blemlösun­gen zu be­rech­nen (lo­cal se­arch). In der Spiel­theo­rie sind Nach­bar­schafts­be­zie­hun­gen so­wohl me­tho­disch re­le­vant (uni­la­te­ra­le Ab­wei­chun­gen von Spie­lern de­fi­nie­ren eine Nach­bar­schaft) also auch in­halt­lich (spiel­theo­re­ti­sche Ana­ly­se von so­zia­len Netz­wer­ken). Und die­se Dis­zi­pli­nen su­chen ih­rer­seits nach Ob­jek­ten und Sys­te­men, in de­nen Nach­bar­schafts­verhält­nis­se eine Rol­le spie­len – um die­se dann ma­the­ma­tisch zu ana­ly­sie­ren.

Und nicht zu­letzt be­fas­sen sich die Me­di­en- und Kul­tur­wis­sen­schaf­ten seit ei­ni­gen Jah­ren mehr und mehr mit sol­cher­art Nach­bar­schafts-in­du­zier­ten Ef­fek­ten: Sei­en es – um nur zwei Be­rei­che zu nen­nen – Dis­kur­se um so­zia­le Schwar­min­tel­li­genz und den Bei­trag ver­teil­ter Kom­mu­ni­ka­ti­ons­kul­tu­ren für po­li­ti­sche Ak­tio­nen, oder Un­ter­su­chen der Me­di­en­ge­schich­te von lo­cal ba­sed me­dia, also etwa von GPS- und Na­vi­ga­ti­ons­geräten und ih­res Ein­flus­ses auf den Um­gang mit Räumen: Nach­bar­schaf­ten sind auch hier Teil ei­ner so­wohl to­po­gra­phi­schen und to­po­lo­gi­schen als auch be­griff­li­chen und kon­zep­tio­nel­len Trans­for­ma­ti­on, die sie als Trieb­kraft wirkmäch­ti­gen Ver­hal­tens und als ›tech­ni­sche An­ord­nun­gen‹ de­fi­niert. Nach­bar­schaf­ten in die­sem Sin­ne sind mit­hin der Nu­kle­us dy­na­mi­scher Kol­lek­ti­ve

Un­ser Blan­ken­see-Col­lo­qui­um 2012 Nach­bar­schafts-Tech­no­lo­gi­en nimmt die Be­deu­tung der­art be­grif­fe­ner Nach­bar­schaf­ten für die Be­schrei­bung dy­na­mi­scher Kol­lek­tiv­pro­zes­se zum An­lass, auch nach neu­en, dis­zi­plinüberg­rei­fen­den Nach­bar­schaf­ten zu su­chen. Wir wer­den in his­to­risch-sys­te­ma­ti­scher Wei­se und in ei­ner trans­dis­zi­plinären Dis­kus­si­on zwi­schen ma­the­ma­tisch-na­tur­wis­sen­schaft­li­chen und me­di­en- und kul­tur­wis­sen­schaft­li­chen Per­spek­ti­ven Be­grif­fe und Kon­zep­te von ›Nach­bar­schaf­ten‹ ord­nen und an­hand aus­gewähl­ter Bei­spie­le da­nach fra­gen, auf wel­che (ge­mein­sa­men oder un­ter­schied­li­chen) Ar­ten sie ak­tu­ell in ver­schie­de­nen wis­sen­schaft­li­chen Dis­zi­pli­nen und tech­ni­schen An­wen­dungs­be­rei­chen vi­ru­lent sind. Da­von ver­spre­chen wir uns vor al­lem drei­er­lei:

Ein sehr viel differenzierteres, medienhistorisch angereichertes und technisch informiertes Bild davon, was gemeinhin unter Schlagwörtern wie ›bottom-up approach‹ oder ›Schwarmintelligenz‹ verhandelt wird. kann wird ›Nachbarschaft‹ je definiert und implementiert werden? Auch die Frage, welche Medientechniken bei der Generierung globaler Dynamiken durch lokale Interaktionen eine Rolle spielen, interessiert uns hier, z.B. inwieweit die Entwicklung bestimmter Simulationsmodelle von Rechengeschwindigkeiten und Softwareapplikationen abhängt.
Ein differenziertes Bild der dazugehörigen Epistemologie: Wie stehen ›nachbarschaftliche‹ Methoden und Techniken im Austausch mit ihren Forschungsobjekten? Wie werden Theorien, Modelle und Simulationen entwickelt und verifiziert? Wie stehen sie in Wechselwirkung miteinander?
Eine sehr viel konzisere Diskussion verschiedener Aspekte und Dimensionen eines (in der Ideenskizze angesprochenen) Themenfeldes wie social networks. Indem sich ausgewählte Personen aus dem transdisziplinären Spektrum dieses Feldes auf die Frage nach Nachbarschaft einlassen, ist ein zentraler Attraktor installiert, an den sich fachübergreifend Theorien, Konzepte, technische Applikationen und Medien- und Kulturgeschichten der Nachbarschaft anlagern lassen. Diese wiederum kartieren jenen Aktivierungspol jedweder dynamischer, generativer Netzwerk-Ansätze.
StatusFinished
Period01.02.1204.02.13

Press/Media