Stefan Horlacher, Hrsg. „Wann ist die Frau eine Frau?“ „Wann ist der Mann ein Mann?“ Konstruktionen von Geschlechtlichkeit von der Antike bis ins 21. Jahrhundert. In: Zeitschrift für Anglistik und Amerikanistik, ZAA Monograph Series Band 10. Würzburg: Königshausen & Neumann 2010

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abstract = "Der interdisziplin{\"a}r angelegte Sammelband: „Wann ist die Frau eine Frau?“ „Wann ist der Mann ein Mann?“ offenbart dem Leser anhand von zw{\"o}lf Beitr{\"a}gen aus Anglistik, Germanistik, Kulturwissenschaft, Klassischer Philologie, Musikwissenschaft, Geschichtswissenschaft, Soziologie sowie M{\"a}nner- und Geschlechterforschung eine eindrucksvolle Vielfalt von „Konstruktionen von Geschlechtlichkeit von der Antike bis ins 21. Jahrhundert.“ Ausgangspunkt und Erkenntnisanliegen des gr{\"o}{\ss}tenteils kulturhistorischen Sammelbands stellt das zunehmend zu beobachtende Verschwimmen der Geschlechtergrenzen in den westlichen Industriestaaten der letzten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts dar. Das vermeintlich starke Geschlecht verf{\"a}llt im heutigen, mediendemokratischen Alltag zum besorgten Familienvater, der im gesellschaftlichen Selbstverst{\"a}ndnis hin und hergerissen wird zwischen M{\"a}nnlichkeitsidealen wie dem epikureischen Marlboro Man, John Rambo oder st{\"a}hlernen Gestalten wie dem virilen Androiden aus James Camerons Terminator. Die Kehrseite zur martialisch-archaischen M{\"a}nnerutopie jedoch ziert ein v{\"o}llig anderes Ideal; die Frauenwelt w{\"u}nscht sich Softi-Typen aus Filmen wie „Der Bewegte Mann“ oder „M{\"a}nner“. „In einer Gesellschaft des Spektakels (Guy Debord) und des Obsz{\"o}nen (Jean Baudrillard) geben sich ‚Machos{\textquoteleft} und ‚Softies{\textquoteleft} die Klinke in die Hand (…)“ (S. 8). Auch verdeutlicht die Prominenz metrosexueller M{\"a}nner, wie etwa eines androgynen David Bowie, Boy George oder des inzwischen verstorbenen Michael Jackson, die gegenw{\"a}rtige Konzeptionsvielfalt und gesellschaftliche Liberalisierung des Mannes.Das war nicht immer so. Ein exemplarischer Antagonismus zu der gegenw{\"a}rtigen Konzeptionsvielfalt m{\"a}nnlicher Inszenierungs- und Existenzformen l{\"a}sst sich am antiken M{\"a}nnlichkeitsideal verdeutlichen, mit dem sich der Beitrag von Fritz-Heiner Mutschler: „Gender im alten Rom: Zur Konstruktion der Geschlechterrollen in lateinischen Texten vom Beginn der r{\"o}mischen Literatur bis in die augusteische Zeit“ befasst. Anhand von r{\"o}mischen Texten, aus Bereichen wie Epigraphik, Epik, Historiographie und Rhetorik aber auch durch eine historisch-interpretative Deutung symbolischer Repr{\"a}sentationen wie dem {\"o}ffentlichen Denkmal oder dem {\"o}ffentlichen Ritual, illustriert der Autor die antiken Vorstellungen gestandener M{\"a}nnlichkeit. Neben der Teleologie des Mannes zeichnet Mutschler auch das Bild einer au{\ss}ergew{\"o}hnlichen antiken Frauenspezies nach; von Het{\"a}ren, oftmals hochgebildeten und politisch einflussreichen Geliebten bedeutender M{\"a}nner, die bestens um ihre Wirkung wussten und es verstanden, „ohne b{\"o}sartig zu sein, (…) sich um ihres Vorteils willen in Szene zu setzen“ (S. 62).Zwar mit keiner opportunistischen Lebensabschnittsgef{\"a}hrtin doch sicher mit einer beispiellosen Herrscherin besch{\"a}ftigt sich der Aufsatz von Thomas K{\"u}hn: „Regieren in einer M{\"a}nnerwelt: Weiblichkeit bei K{\"o}nigin Elisabeth I.“ Die im Jahre 1533 geborene Tochter Heinrichs VIII. und Anne Boleyn, welche England 45 Jahre zwischen 1558–1603 regierte, gilt einer aktuellen BBC-Umfrage nach noch immer als siebtgr{\"o}{\ss}te aller Briten (S. 76). K{\"o}nigin Elisabeth I. regierte nicht nur in einer von M{\"a}nnern dominierten Welt, auch bewies sie ihr innen- und au{\ss}enpolitisches Herrscherpotential durch den unverzichtbaren Sieg Englands {\"u}ber die spanische Armada im Jahre 1588, wodurch sie den Aufstieg Englands zur Gro{\ss}macht vorbereitete. Elisabeth regierte als Monarchin in einer M{\"a}nnerwelt ohne Mann an ihrer Seite.Gleich mehrere Beitr{\"a}ge widmen sich verschiedenen Ph{\"a}nomenen des 19. Jahrhunderts. So zeigt Susanne Sch{\"o}tz in ihrem Aufsatz: „Geschlechterverh{\"a}ltnisse im B{\"u}rgertum und Kleinb{\"u}rgertum des 19. Jahrhunderts: Zur Erfolgsgeschichte von Putz- und Modewarenh{\"a}ndlerinnen“, dass bereits im 19. Jahrhundert eine wesentlich gr{\"o}{\ss}ere Variabilit{\"a}t des b{\"u}rgerlichen Frau-Seins m{\"o}glich war, als heute oft angenommen wird. Putz- und Modewaren, die sich im Zuge von Urbanisierung und Bev{\"o}lkerungswachstum zunehmend erfolgreicher ver{\"a}u{\ss}ern lie{\ss}en, wurden in der Bl{\"u}tezeit der Industrialisierung zu einem Erfolgsgaranten der Frau, der den Gesch{\"a}ftserfolg von Putzmacherinnen, Damenschneiderinnen und H{\"a}ndlerinnen durch ein Angebot an diversen Mode- und Geschenkartikeln f{\"u}r ein weibliches Klientel langfristig sicherstellte (S. 127).Auch Kerstin St{\"u}ssels Beitrag: „Erz{\"a}hlte Familien und famili{\"a}res Erz{\"a}hlen im ‚b{\"u}rgerlichen{\textquoteleft} Realismus“ h{\"a}lt sich im 19. Jahrhundert auf, fokussiert allerdings auf literarische Texte von Gottfried Keller, Theodor Storm und Wilhelm Rabe. Kritisch diskutiert sie hierbei den wohl bis heute schwierigsten und umstrittensten Aspekt der feministischen Politik und der Geschlechterforschung: die Familien- und Verwandtschaftsstruktur. Mit dezidierten Verweisen demonstriert St{\"u}ssel, wie moderne Familiarit{\"a}t in den narrativen Verschachtelungen der prominenten Schriftsteller konstituiert wird (S. 137).Eine gelungene {\"U}bersicht zum aktuellen Forschungsstand der Geschlechter- und K{\"o}rperforschung in den Geistes- und Sozialwissenschaften referiert Elisabeth Tiller in ihrem Aufsatz: „Zeitspr{\"u}nge: Judith Butler und gender performance bei Michel de Montaigne und Ambroise Par{\'e}“. Anhand von theoretischen Verweisen poststrukturalistischer Ideen schafft es Tiller, einen fundierten Eindruck dar{\"u}ber zu vermitteln, wie sich Geschichte und Kultur in Diskursen artikulieren und {\"u}ber verschiedene Instanzen und Institutionen in den menschlichen K{\"o}rper einschreiben. Hierzu f{\"u}hrt sie insbesondere die kulturrelativistischen {\"U}berlegungen von Philipp Sarasin an. „Die Historizit{\"a}t des K{\"o}rpers korreliert mit dem Wandel seines jeweiligen kulturellen Kontexts (…) die als evolutive Faktoren allesamt auf die epistemische, symbolische und soziale Zurichtung der empirischen K{\"o}rper einwirken“ (S. 90).Auch Gaby Pailer besch{\"a}ftigt sich in ihrem Aufsatz: „‚Citing the Heterosexual Norm Differently{\textquoteleft} – Louise von Fran{\c c}ois{\textquoteleft} Die letzten Reckenburgerin aus dem Blickwinkel von Judith Butlers ‚Geschlechtertheorie{\textquoteleft}“ mit Butler und macht ihre Theorie f{\"u}r die Untersuchung eines prominenten historischen Romans des deutschen Realismus geltend, „die letzte Reckenburgerin“.In ihrem Aufsatz „‚Endure or Escape{\textquoteleft} – M{\"a}nnlichkeit als momentum in John Cowper Powys{\textquoteleft} Wolf Solent{\textquoteleft} stellt Claudia Lainka die Frage, wie M{\"a}nnlichkeit anhand von {\"U}berlegungen Jacque Lacans und in einer psychoanalytischen Betrachtung hinterfragt werden kann, bevor sie in einem dritten Teil die Konzeption von M{\"a}nnlichkeit in John Cowper Powys{\textquoteleft} Roman Wolf Solent von 1929 in den Mittelpunkt ihrer Untersuchung r{\"u}ckt.Mit „{\"U}berlegungen zur theoretischen Konzeption m{\"a}nnlicher Identit{\"a}t aus kulturwissenschaftlicher Perspektive“ befasst sich der umfassende Beitrag von Stefan Horlacher. Einer hervorragenden {\"U}bersicht zum aktuellen Forschungsstand in den Masculinity Studies schlie{\ss}t sich eine eher theoretische Vertiefung gegenw{\"a}rtiger Konzeptionen m{\"a}nnlicher Identit{\"a}t an. Hierzu beschreibt der Autor die lebensweltliche Problematik von M{\"a}nnern, in der er kritisch die jeweiligen Perspektiven der Identit{\"a}tsforschung, Kulturanthropologie und Psychoanalyse diskutiert.Lother B{\"o}hnisch hinterfragt in seinem Aufsatz: „Die Ambivalenz der Geschlechternivellierung und die Bew{\"a}ltigungsfallen im Verlauf der m{\"a}nnlichen Sozialisation“ die „traditionelle Dominanz des M{\"a}nnlichen“ im gesellschaftlichen Alltag der Gegenwart. B{\"o}hnisch stellt die These auf, dass neue Technologien geschlechtsnivellierende wie differenzauffordernde Effekte freisetzen und heutigen „M{\"a}dchen und Jungen, M{\"a}nner und Frauen (…) sich in der Benutzung der neuen Informations- und Kommunikationsmedien in nichts mehr nach [stehen]“ (S. 239).Um die androzentrische Gewalt an Aufs{\"a}tzen, die diesen Band pr{\"a}gt, mit Darstellungen von Weiblichkeit zu parieren, referiert Lars Heiler in seinem Beitrag: „Regressionsmythen und Konstruktionen von Weiblichkeit im britischen Gegenwartsroman“ den Einfluss k{\"u}nstlerischer und literarischer Darstellungen von Weiblichkeit und beschreibt diese als transformatorische Kr{\"a}fte f{\"u}r die Formation von Geschlechterverh{\"a}ltnissen. Dazu verweist er u. a. auf den jahrtausendealten Ursprung von Weiblichkeitsmodellen, die in „mythischen Tiefenstrukturen“ wurzeln und „bis in die Gegenwart hinein wirkungsm{\"a}chtig geblieben sind (…)“ (S. 247).Der den Band beschlie{\ss}ende Beitrag der zwei Autorinnen Annette Kreutziger-Herr und Gesa Finkel: „Studies in Music History: No / More Gender?“ erg{\"a}nzt die vorherige soziologische, historische und kulturwissenschaftlich-literarische Perspektive auf Geschlechtlichkeit durch eine musikwissenschaftliche. Anhand von drei pr{\"a}gnanten Beispielen: die Lyrik und Musik der Trobairitz im Mittelalter, die Nachlassverwaltung von Konstanze Mozart zu Beginn des 19. Jahrhunderts sowie die historische Auff{\"u}hrungspraxis der Yvette Guilbert um 1900 hinterfragen die Autorinnen, wie die Genderperspektive die Musikgeschichte und Musikgeschichtsschreibung ver{\"a}ndern kann.",
keywords = "Gender und Diversity",
author = "Dennis Kr{\"a}mer",
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doi = "10.1055/s-0031-1284003",
language = "Deutsch",
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publisher = "Georg Thieme Verlag",
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RIS

TY - JOUR

T1 - Stefan Horlacher, Hrsg. „Wann ist die Frau eine Frau?“ „Wann ist der Mann ein Mann?“ Konstruktionen von Geschlechtlichkeit von der Antike bis ins 21. Jahrhundert. In: Zeitschrift für Anglistik und Amerikanistik, ZAA Monograph Series Band 10. Würzburg: Königshausen & Neumann 2010

AU - Krämer, Dennis

PY - 2012/3/1

Y1 - 2012/3/1

N2 - Der interdisziplinär angelegte Sammelband: „Wann ist die Frau eine Frau?“ „Wann ist der Mann ein Mann?“ offenbart dem Leser anhand von zwölf Beiträgen aus Anglistik, Germanistik, Kulturwissenschaft, Klassischer Philologie, Musikwissenschaft, Geschichtswissenschaft, Soziologie sowie Männer- und Geschlechterforschung eine eindrucksvolle Vielfalt von „Konstruktionen von Geschlechtlichkeit von der Antike bis ins 21. Jahrhundert.“ Ausgangspunkt und Erkenntnisanliegen des größtenteils kulturhistorischen Sammelbands stellt das zunehmend zu beobachtende Verschwimmen der Geschlechtergrenzen in den westlichen Industriestaaten der letzten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts dar. Das vermeintlich starke Geschlecht verfällt im heutigen, mediendemokratischen Alltag zum besorgten Familienvater, der im gesellschaftlichen Selbstverständnis hin und hergerissen wird zwischen Männlichkeitsidealen wie dem epikureischen Marlboro Man, John Rambo oder stählernen Gestalten wie dem virilen Androiden aus James Camerons Terminator. Die Kehrseite zur martialisch-archaischen Männerutopie jedoch ziert ein völlig anderes Ideal; die Frauenwelt wünscht sich Softi-Typen aus Filmen wie „Der Bewegte Mann“ oder „Männer“. „In einer Gesellschaft des Spektakels (Guy Debord) und des Obszönen (Jean Baudrillard) geben sich ‚Machos‘ und ‚Softies‘ die Klinke in die Hand (…)“ (S. 8). Auch verdeutlicht die Prominenz metrosexueller Männer, wie etwa eines androgynen David Bowie, Boy George oder des inzwischen verstorbenen Michael Jackson, die gegenwärtige Konzeptionsvielfalt und gesellschaftliche Liberalisierung des Mannes.Das war nicht immer so. Ein exemplarischer Antagonismus zu der gegenwärtigen Konzeptionsvielfalt männlicher Inszenierungs- und Existenzformen lässt sich am antiken Männlichkeitsideal verdeutlichen, mit dem sich der Beitrag von Fritz-Heiner Mutschler: „Gender im alten Rom: Zur Konstruktion der Geschlechterrollen in lateinischen Texten vom Beginn der römischen Literatur bis in die augusteische Zeit“ befasst. Anhand von römischen Texten, aus Bereichen wie Epigraphik, Epik, Historiographie und Rhetorik aber auch durch eine historisch-interpretative Deutung symbolischer Repräsentationen wie dem öffentlichen Denkmal oder dem öffentlichen Ritual, illustriert der Autor die antiken Vorstellungen gestandener Männlichkeit. Neben der Teleologie des Mannes zeichnet Mutschler auch das Bild einer außergewöhnlichen antiken Frauenspezies nach; von Hetären, oftmals hochgebildeten und politisch einflussreichen Geliebten bedeutender Männer, die bestens um ihre Wirkung wussten und es verstanden, „ohne bösartig zu sein, (…) sich um ihres Vorteils willen in Szene zu setzen“ (S. 62).Zwar mit keiner opportunistischen Lebensabschnittsgefährtin doch sicher mit einer beispiellosen Herrscherin beschäftigt sich der Aufsatz von Thomas Kühn: „Regieren in einer Männerwelt: Weiblichkeit bei Königin Elisabeth I.“ Die im Jahre 1533 geborene Tochter Heinrichs VIII. und Anne Boleyn, welche England 45 Jahre zwischen 1558–1603 regierte, gilt einer aktuellen BBC-Umfrage nach noch immer als siebtgrößte aller Briten (S. 76). Königin Elisabeth I. regierte nicht nur in einer von Männern dominierten Welt, auch bewies sie ihr innen- und außenpolitisches Herrscherpotential durch den unverzichtbaren Sieg Englands über die spanische Armada im Jahre 1588, wodurch sie den Aufstieg Englands zur Großmacht vorbereitete. Elisabeth regierte als Monarchin in einer Männerwelt ohne Mann an ihrer Seite.Gleich mehrere Beiträge widmen sich verschiedenen Phänomenen des 19. Jahrhunderts. So zeigt Susanne Schötz in ihrem Aufsatz: „Geschlechterverhältnisse im Bürgertum und Kleinbürgertum des 19. Jahrhunderts: Zur Erfolgsgeschichte von Putz- und Modewarenhändlerinnen“, dass bereits im 19. Jahrhundert eine wesentlich größere Variabilität des bürgerlichen Frau-Seins möglich war, als heute oft angenommen wird. Putz- und Modewaren, die sich im Zuge von Urbanisierung und Bevölkerungswachstum zunehmend erfolgreicher veräußern ließen, wurden in der Blütezeit der Industrialisierung zu einem Erfolgsgaranten der Frau, der den Geschäftserfolg von Putzmacherinnen, Damenschneiderinnen und Händlerinnen durch ein Angebot an diversen Mode- und Geschenkartikeln für ein weibliches Klientel langfristig sicherstellte (S. 127).Auch Kerstin Stüssels Beitrag: „Erzählte Familien und familiäres Erzählen im ‚bürgerlichen‘ Realismus“ hält sich im 19. Jahrhundert auf, fokussiert allerdings auf literarische Texte von Gottfried Keller, Theodor Storm und Wilhelm Rabe. Kritisch diskutiert sie hierbei den wohl bis heute schwierigsten und umstrittensten Aspekt der feministischen Politik und der Geschlechterforschung: die Familien- und Verwandtschaftsstruktur. Mit dezidierten Verweisen demonstriert Stüssel, wie moderne Familiarität in den narrativen Verschachtelungen der prominenten Schriftsteller konstituiert wird (S. 137).Eine gelungene Übersicht zum aktuellen Forschungsstand der Geschlechter- und Körperforschung in den Geistes- und Sozialwissenschaften referiert Elisabeth Tiller in ihrem Aufsatz: „Zeitsprünge: Judith Butler und gender performance bei Michel de Montaigne und Ambroise Paré“. Anhand von theoretischen Verweisen poststrukturalistischer Ideen schafft es Tiller, einen fundierten Eindruck darüber zu vermitteln, wie sich Geschichte und Kultur in Diskursen artikulieren und über verschiedene Instanzen und Institutionen in den menschlichen Körper einschreiben. Hierzu führt sie insbesondere die kulturrelativistischen Überlegungen von Philipp Sarasin an. „Die Historizität des Körpers korreliert mit dem Wandel seines jeweiligen kulturellen Kontexts (…) die als evolutive Faktoren allesamt auf die epistemische, symbolische und soziale Zurichtung der empirischen Körper einwirken“ (S. 90).Auch Gaby Pailer beschäftigt sich in ihrem Aufsatz: „‚Citing the Heterosexual Norm Differently‘ – Louise von François‘ Die letzten Reckenburgerin aus dem Blickwinkel von Judith Butlers ‚Geschlechtertheorie‘“ mit Butler und macht ihre Theorie für die Untersuchung eines prominenten historischen Romans des deutschen Realismus geltend, „die letzte Reckenburgerin“.In ihrem Aufsatz „‚Endure or Escape‘ – Männlichkeit als momentum in John Cowper Powys‘ Wolf Solent‘ stellt Claudia Lainka die Frage, wie Männlichkeit anhand von Überlegungen Jacque Lacans und in einer psychoanalytischen Betrachtung hinterfragt werden kann, bevor sie in einem dritten Teil die Konzeption von Männlichkeit in John Cowper Powys‘ Roman Wolf Solent von 1929 in den Mittelpunkt ihrer Untersuchung rückt.Mit „Überlegungen zur theoretischen Konzeption männlicher Identität aus kulturwissenschaftlicher Perspektive“ befasst sich der umfassende Beitrag von Stefan Horlacher. Einer hervorragenden Übersicht zum aktuellen Forschungsstand in den Masculinity Studies schließt sich eine eher theoretische Vertiefung gegenwärtiger Konzeptionen männlicher Identität an. Hierzu beschreibt der Autor die lebensweltliche Problematik von Männern, in der er kritisch die jeweiligen Perspektiven der Identitätsforschung, Kulturanthropologie und Psychoanalyse diskutiert.Lother Böhnisch hinterfragt in seinem Aufsatz: „Die Ambivalenz der Geschlechternivellierung und die Bewältigungsfallen im Verlauf der männlichen Sozialisation“ die „traditionelle Dominanz des Männlichen“ im gesellschaftlichen Alltag der Gegenwart. Böhnisch stellt die These auf, dass neue Technologien geschlechtsnivellierende wie differenzauffordernde Effekte freisetzen und heutigen „Mädchen und Jungen, Männer und Frauen (…) sich in der Benutzung der neuen Informations- und Kommunikationsmedien in nichts mehr nach [stehen]“ (S. 239).Um die androzentrische Gewalt an Aufsätzen, die diesen Band prägt, mit Darstellungen von Weiblichkeit zu parieren, referiert Lars Heiler in seinem Beitrag: „Regressionsmythen und Konstruktionen von Weiblichkeit im britischen Gegenwartsroman“ den Einfluss künstlerischer und literarischer Darstellungen von Weiblichkeit und beschreibt diese als transformatorische Kräfte für die Formation von Geschlechterverhältnissen. Dazu verweist er u. a. auf den jahrtausendealten Ursprung von Weiblichkeitsmodellen, die in „mythischen Tiefenstrukturen“ wurzeln und „bis in die Gegenwart hinein wirkungsmächtig geblieben sind (…)“ (S. 247).Der den Band beschließende Beitrag der zwei Autorinnen Annette Kreutziger-Herr und Gesa Finkel: „Studies in Music History: No / More Gender?“ ergänzt die vorherige soziologische, historische und kulturwissenschaftlich-literarische Perspektive auf Geschlechtlichkeit durch eine musikwissenschaftliche. Anhand von drei prägnanten Beispielen: die Lyrik und Musik der Trobairitz im Mittelalter, die Nachlassverwaltung von Konstanze Mozart zu Beginn des 19. Jahrhunderts sowie die historische Aufführungspraxis der Yvette Guilbert um 1900 hinterfragen die Autorinnen, wie die Genderperspektive die Musikgeschichte und Musikgeschichtsschreibung verändern kann.

AB - Der interdisziplinär angelegte Sammelband: „Wann ist die Frau eine Frau?“ „Wann ist der Mann ein Mann?“ offenbart dem Leser anhand von zwölf Beiträgen aus Anglistik, Germanistik, Kulturwissenschaft, Klassischer Philologie, Musikwissenschaft, Geschichtswissenschaft, Soziologie sowie Männer- und Geschlechterforschung eine eindrucksvolle Vielfalt von „Konstruktionen von Geschlechtlichkeit von der Antike bis ins 21. Jahrhundert.“ Ausgangspunkt und Erkenntnisanliegen des größtenteils kulturhistorischen Sammelbands stellt das zunehmend zu beobachtende Verschwimmen der Geschlechtergrenzen in den westlichen Industriestaaten der letzten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts dar. Das vermeintlich starke Geschlecht verfällt im heutigen, mediendemokratischen Alltag zum besorgten Familienvater, der im gesellschaftlichen Selbstverständnis hin und hergerissen wird zwischen Männlichkeitsidealen wie dem epikureischen Marlboro Man, John Rambo oder stählernen Gestalten wie dem virilen Androiden aus James Camerons Terminator. Die Kehrseite zur martialisch-archaischen Männerutopie jedoch ziert ein völlig anderes Ideal; die Frauenwelt wünscht sich Softi-Typen aus Filmen wie „Der Bewegte Mann“ oder „Männer“. „In einer Gesellschaft des Spektakels (Guy Debord) und des Obszönen (Jean Baudrillard) geben sich ‚Machos‘ und ‚Softies‘ die Klinke in die Hand (…)“ (S. 8). Auch verdeutlicht die Prominenz metrosexueller Männer, wie etwa eines androgynen David Bowie, Boy George oder des inzwischen verstorbenen Michael Jackson, die gegenwärtige Konzeptionsvielfalt und gesellschaftliche Liberalisierung des Mannes.Das war nicht immer so. Ein exemplarischer Antagonismus zu der gegenwärtigen Konzeptionsvielfalt männlicher Inszenierungs- und Existenzformen lässt sich am antiken Männlichkeitsideal verdeutlichen, mit dem sich der Beitrag von Fritz-Heiner Mutschler: „Gender im alten Rom: Zur Konstruktion der Geschlechterrollen in lateinischen Texten vom Beginn der römischen Literatur bis in die augusteische Zeit“ befasst. Anhand von römischen Texten, aus Bereichen wie Epigraphik, Epik, Historiographie und Rhetorik aber auch durch eine historisch-interpretative Deutung symbolischer Repräsentationen wie dem öffentlichen Denkmal oder dem öffentlichen Ritual, illustriert der Autor die antiken Vorstellungen gestandener Männlichkeit. Neben der Teleologie des Mannes zeichnet Mutschler auch das Bild einer außergewöhnlichen antiken Frauenspezies nach; von Hetären, oftmals hochgebildeten und politisch einflussreichen Geliebten bedeutender Männer, die bestens um ihre Wirkung wussten und es verstanden, „ohne bösartig zu sein, (…) sich um ihres Vorteils willen in Szene zu setzen“ (S. 62).Zwar mit keiner opportunistischen Lebensabschnittsgefährtin doch sicher mit einer beispiellosen Herrscherin beschäftigt sich der Aufsatz von Thomas Kühn: „Regieren in einer Männerwelt: Weiblichkeit bei Königin Elisabeth I.“ Die im Jahre 1533 geborene Tochter Heinrichs VIII. und Anne Boleyn, welche England 45 Jahre zwischen 1558–1603 regierte, gilt einer aktuellen BBC-Umfrage nach noch immer als siebtgrößte aller Briten (S. 76). Königin Elisabeth I. regierte nicht nur in einer von Männern dominierten Welt, auch bewies sie ihr innen- und außenpolitisches Herrscherpotential durch den unverzichtbaren Sieg Englands über die spanische Armada im Jahre 1588, wodurch sie den Aufstieg Englands zur Großmacht vorbereitete. Elisabeth regierte als Monarchin in einer Männerwelt ohne Mann an ihrer Seite.Gleich mehrere Beiträge widmen sich verschiedenen Phänomenen des 19. Jahrhunderts. So zeigt Susanne Schötz in ihrem Aufsatz: „Geschlechterverhältnisse im Bürgertum und Kleinbürgertum des 19. Jahrhunderts: Zur Erfolgsgeschichte von Putz- und Modewarenhändlerinnen“, dass bereits im 19. Jahrhundert eine wesentlich größere Variabilität des bürgerlichen Frau-Seins möglich war, als heute oft angenommen wird. Putz- und Modewaren, die sich im Zuge von Urbanisierung und Bevölkerungswachstum zunehmend erfolgreicher veräußern ließen, wurden in der Blütezeit der Industrialisierung zu einem Erfolgsgaranten der Frau, der den Geschäftserfolg von Putzmacherinnen, Damenschneiderinnen und Händlerinnen durch ein Angebot an diversen Mode- und Geschenkartikeln für ein weibliches Klientel langfristig sicherstellte (S. 127).Auch Kerstin Stüssels Beitrag: „Erzählte Familien und familiäres Erzählen im ‚bürgerlichen‘ Realismus“ hält sich im 19. Jahrhundert auf, fokussiert allerdings auf literarische Texte von Gottfried Keller, Theodor Storm und Wilhelm Rabe. Kritisch diskutiert sie hierbei den wohl bis heute schwierigsten und umstrittensten Aspekt der feministischen Politik und der Geschlechterforschung: die Familien- und Verwandtschaftsstruktur. Mit dezidierten Verweisen demonstriert Stüssel, wie moderne Familiarität in den narrativen Verschachtelungen der prominenten Schriftsteller konstituiert wird (S. 137).Eine gelungene Übersicht zum aktuellen Forschungsstand der Geschlechter- und Körperforschung in den Geistes- und Sozialwissenschaften referiert Elisabeth Tiller in ihrem Aufsatz: „Zeitsprünge: Judith Butler und gender performance bei Michel de Montaigne und Ambroise Paré“. Anhand von theoretischen Verweisen poststrukturalistischer Ideen schafft es Tiller, einen fundierten Eindruck darüber zu vermitteln, wie sich Geschichte und Kultur in Diskursen artikulieren und über verschiedene Instanzen und Institutionen in den menschlichen Körper einschreiben. Hierzu führt sie insbesondere die kulturrelativistischen Überlegungen von Philipp Sarasin an. „Die Historizität des Körpers korreliert mit dem Wandel seines jeweiligen kulturellen Kontexts (…) die als evolutive Faktoren allesamt auf die epistemische, symbolische und soziale Zurichtung der empirischen Körper einwirken“ (S. 90).Auch Gaby Pailer beschäftigt sich in ihrem Aufsatz: „‚Citing the Heterosexual Norm Differently‘ – Louise von François‘ Die letzten Reckenburgerin aus dem Blickwinkel von Judith Butlers ‚Geschlechtertheorie‘“ mit Butler und macht ihre Theorie für die Untersuchung eines prominenten historischen Romans des deutschen Realismus geltend, „die letzte Reckenburgerin“.In ihrem Aufsatz „‚Endure or Escape‘ – Männlichkeit als momentum in John Cowper Powys‘ Wolf Solent‘ stellt Claudia Lainka die Frage, wie Männlichkeit anhand von Überlegungen Jacque Lacans und in einer psychoanalytischen Betrachtung hinterfragt werden kann, bevor sie in einem dritten Teil die Konzeption von Männlichkeit in John Cowper Powys‘ Roman Wolf Solent von 1929 in den Mittelpunkt ihrer Untersuchung rückt.Mit „Überlegungen zur theoretischen Konzeption männlicher Identität aus kulturwissenschaftlicher Perspektive“ befasst sich der umfassende Beitrag von Stefan Horlacher. Einer hervorragenden Übersicht zum aktuellen Forschungsstand in den Masculinity Studies schließt sich eine eher theoretische Vertiefung gegenwärtiger Konzeptionen männlicher Identität an. Hierzu beschreibt der Autor die lebensweltliche Problematik von Männern, in der er kritisch die jeweiligen Perspektiven der Identitätsforschung, Kulturanthropologie und Psychoanalyse diskutiert.Lother Böhnisch hinterfragt in seinem Aufsatz: „Die Ambivalenz der Geschlechternivellierung und die Bewältigungsfallen im Verlauf der männlichen Sozialisation“ die „traditionelle Dominanz des Männlichen“ im gesellschaftlichen Alltag der Gegenwart. Böhnisch stellt die These auf, dass neue Technologien geschlechtsnivellierende wie differenzauffordernde Effekte freisetzen und heutigen „Mädchen und Jungen, Männer und Frauen (…) sich in der Benutzung der neuen Informations- und Kommunikationsmedien in nichts mehr nach [stehen]“ (S. 239).Um die androzentrische Gewalt an Aufsätzen, die diesen Band prägt, mit Darstellungen von Weiblichkeit zu parieren, referiert Lars Heiler in seinem Beitrag: „Regressionsmythen und Konstruktionen von Weiblichkeit im britischen Gegenwartsroman“ den Einfluss künstlerischer und literarischer Darstellungen von Weiblichkeit und beschreibt diese als transformatorische Kräfte für die Formation von Geschlechterverhältnissen. Dazu verweist er u. a. auf den jahrtausendealten Ursprung von Weiblichkeitsmodellen, die in „mythischen Tiefenstrukturen“ wurzeln und „bis in die Gegenwart hinein wirkungsmächtig geblieben sind (…)“ (S. 247).Der den Band beschließende Beitrag der zwei Autorinnen Annette Kreutziger-Herr und Gesa Finkel: „Studies in Music History: No / More Gender?“ ergänzt die vorherige soziologische, historische und kulturwissenschaftlich-literarische Perspektive auf Geschlechtlichkeit durch eine musikwissenschaftliche. Anhand von drei prägnanten Beispielen: die Lyrik und Musik der Trobairitz im Mittelalter, die Nachlassverwaltung von Konstanze Mozart zu Beginn des 19. Jahrhunderts sowie die historische Aufführungspraxis der Yvette Guilbert um 1900 hinterfragen die Autorinnen, wie die Genderperspektive die Musikgeschichte und Musikgeschichtsschreibung verändern kann.

KW - Gender und Diversity

U2 - 10.1055/s-0031-1284003

DO - 10.1055/s-0031-1284003

M3 - Rezensionen

VL - 25

SP - 80

EP - 82

JO - Zeitschrift fur Sexualforschung

JF - Zeitschrift fur Sexualforschung

SN - 0932-8114

IS - 1

ER -

DOI