Tischszenen: Der Tisch als Versammlungsort, Denkraum und Instrument der Ordnung.

Projekt: Dissertationsprojekt

Projektbeteiligte

  • Berroth, Elena (Wissenschaftliche Projektleitung)

Beschreibung

Auf der Oberfläche von gemalten Tischen zeigen sich Praktiken des (Ver-)Sammelns, der Gemeinschafts- und Subjektbildung sowie des künstlerischen Entwurfs und lassen sie damit zu Metaphern der Leinwand werden. Sie bieten Fläche für diverse Ordnungen, die auf ihnen arrangiert, in Relation gesetzt und verhandelt werden und vorherrschende Annahmen infrage stellen. Durch ihre Begrenztheit konzentrieren sie den Blick der Betrachter*innen auf die Objekte, die auf ihrer Oberfläche sichtbar werden, und schaffen Imaginationsräume. Als Schwellenfigur öffnen sie eine Schnittstelle, auf der sich die ästhetischen, sozialen und reflexiven Ebenen des Bildes begegnen, und evozieren zugleich ein Kippmoment, indem sie in ihrer Erscheinung zwischen widersprüchlichen Funktionen und Darstellungsweisen schweben.

Das Dissertationsprojekt konzentriert sich auf Esstische, die in bewohnten Interieurs oder im Freien erscheinen und somit zu gesellschaftlichen Tischszenen werden. Die Forschung zu gemalten Tischen legte ihren Fokus bisher auf Stilllebentische und vereinzelt auf Picknickszenen. Hieran anknüpfend stehen nun ausdrücklich belebte Tischszenen im Vordergrund.
Esstische in der Bildenden Kunst ermöglichen einen differenzierten Blick auf jene Momente, in denen an die Stelle der eigentlichen Kulturpraktik ein künstlerisches Verfahren tritt, in denen sich Innerlichkeit in eine äußere Form und ihre Präsentation wandelt, in denen der Raum in die Fläche kippt und damit die produktions- und rezeptionsästhetische Dimension von Tischen thematisiert wird. In Bezug auf den Esstisch sind es die gesellschaftlichen und mentalen Rahmenbedingungen einer Mahlzeit, die der Ordnung am Tisch zugrunde liegen. Dabei geht es um festgelegte Normen und Wertesysteme, wie Mahlzeitengefüge, Service, Speisefolge und Tafelde-koration sowie Tischsitten, Geschlechter- und Standesdifferenzierungen, die in der Gemeinschaft am Tisch ihren Ausdruck finden. Als soziale wie auch materielle Figur wird ihm daher eine stabilisierende, differenzierende, ordnende und normierende Funktion zugesprochen. Der Tisch ist somit ein mobiler, materieller Träger einer immateriellen Ordnung, die sich auf ihm verdinglicht und in Relation zu einer Tischgemeinschaft realisiert wird. Trotz dieser erheblichen bedeutungstragenden Funktion ist der Tisch selbst ein überaus unauffälliger Gegenstand. Meist tritt er hinter dem Geschehen zurück, er fällt sozusagen aus dem Blick. Als Metapher der Leinwand ist der Tisch „Bild im Bild“. Er ist unscheinbarer Teil des Ganzen und tritt zugleich als bedeutungstragendes Detail aus der Gesamtstruktur hervor. Die zugrunde liegende Überlegung ist daher, was eintritt, wenn gemalte Tische in die Sichtbarkeit rücken und somit aus dem Bild und in den Blick fallen. Dabei werden Formen der Darstellung, die Reflexion ihrer Produktion sowie die soziale Umgebung ihrer Entstehungszeit miteinander verwoben. Das Projekt bewegt sich im Zeitraum des ausgehenden 19. Jahrhunderts bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts, da Tische zu dieser Zeit zunehmend als eigenständige und produktive Instanzen in den Vordergrund rücken und sich vor dem Hintergrund des aufkommenden Bürgertums auf der Oberfläche des Tisches eine neue Ära bürgerlicher Genusskultur entfaltet.
Dafür bedient sich das kunstwissenschaftliche Projekt Methoden der Darstellungstheorie, Produktionsästhetik, Wissensgeschichte/-theorie, der Rezeptionsästhetik, der Kulturwissenschaft sowie der Bild- und Medienwissenschaften.
StatusLaufend
Zeitraum01.04.15 → …

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